Die Meisterin der schwarzen Kunst
Fußboden verschmutzt.»
Als Henrika ihren Ziehvater am Tisch stehen sah, lächelte sie erfreut. «Wann bist du denn zurückgekommen, Vater?», fragte sie. «Niemand hat mir etwas gesagt, sonst wäre ich heute nicht zu Elisabeth gegangen. Konntest du alle Hüte in der Stadt verkaufen? Auch den hübschen mit dem prächtigen Federschmuck?»
Hahn erwiderte ihr Lächeln unbeholfen. Er hatte es nie verstanden, mit ihr zu scherzen, wie ein Vater es zuweilen mit seinen Kindern tun sollte. «Wie soll sich ein müder alter Mann alle diese Fragen auf einmal merken?», brummte er. «Aber wie du siehst, ist mir nichts geschehen. Einen rauen Hals hat mir die Kälte gebracht, aber den wird deine Mutter mit getrockneten Kamillenblüten auskurieren. Morgen früh sitze ich schon wieder in der Werkstatt und forme Filz.»
«Setz dich endlich. Sprich dein Gebet und iss dein Brot!» Agatha wies auf die lange Ofenbank, auf der Henrika es sich bei gemeinsamen Mahlzeiten bequem machte. Nur wenn reisende Gesellen im Haus waren, wurde sie auf einen niedrigen Schemel verbannt und musste ihre Schüssel auf den Knien balancieren. Agatha öffnete ein Fenster, dann ließ sie sich ebenfalls nieder, um ihr Abendbrot zu verspeisen. Nachdem Hahn das Gebet gesprochen hatte, herrschte Schweigen in der rauchgeschwängerten Küche. Auf der Gasse erklangen die Geräusche von Pferdehufen und einem Fuhrwerk.
«Dein Vater möchte mit dir reden», sagte Agatha schließlich. «Er hat von Dingen erfahren, die uns … etwas verwundert haben.»
Henrika schluckte den letzten Bissen ihres Brotes herunter und wandte sich erwartungsvoll ihrem Ziehvater zu, der nervös auf seinem Stuhl herumrutschte.
«Was gibt es, Vater?»
Hahn seufzte, es fiel ihm sichtlich schwer, mit der Sprache herauszurücken. «Nun, vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir es dir nicht länger verschweigen. Ich habe mich in den letzten Jahren in Heidelberg mit einem Mann getroffen, der mir Geld für deine Aussteuer und deinen Unterhalt gegeben hat. Als ich aber dieses Jahr auf ihn wartete, ließ er sich nicht blicken. Danach sprach ich mit einem Gerichtsschreiber, der auf meine Bitte hin alte Protokolle und Akten aufgeschlagen hat. In keinem fand sich ein Hinweis auf deine … die Frau, die dich zur Welt gebracht hat. Es scheint beinahe, als habe sie nie gelebt. Und nun fürchten deine Mutter und ich, dass wir möglicherweise gutgläubige Opfer eines Betrugs geworden sind.»
Henrika schaute Hahn erschrocken an. Plötzlich erschienen er und Agatha ihr wie Fremde. Nichts in der Küche mit ihren niedrigen Deckenbalken, dem gemauerten Herd und den rot angestrichenen Truhen für Töpfe, Kessel und Holzlöffel machte auf sie einen vertrauten Eindruck. In ihrem Gesicht spiegelten sich Empörung, Wut und Trauer.
«Nun weiß ich, warum ich dich nicht nach Heidelberg begleiten durfte», sagte sie mit tonloser Stimme. «Ich sollte nicht mitbekommen, wie du auf dem Markt um mich feilschst wie um eine Milchkuh!»
Agatha fuhr auf. «Du sollst Vater und Mutter ehren. Ungezogene Reden werden dir nicht weiterhelfen, auch wenn ich verstehen kann, dass diese Neuigkeit dich überrascht. Mich traf sie ebenfalls unvorbereitet.»
«Ja, weil du nun kein Geld mehr für mich bekommst.» Henrika kämpfte mit den Tränen. Nach der furchtbaren Nacht in der Zollscheune und den aufdringlichen Fragen des Festungsbaumeisters hatte sie nicht erwartet, dass sie so rasch wieder etwas würde erschüttern können. Nun aber verspürte sie eine Furcht, die das Entsetzen jener Nacht unbedeutend machte.
Barthel Janson, schoss es ihr durch den Kopf. Er war ihre einzige Hoffnung, den Knoten zu lösen, der ihren Verstand zu umschlingen drohte. Sie musste ihn auf der Stelle aufsuchen. Ohne zu zögern, stand sie auf und schob die Bank zurück.
«Ich brauche frische Luft», erklärte sie den Hahns, die mit verkniffenen Mienen auf die Tischplatte starrten. Als sie sich jedoch an Agatha vorbeidrängen wollte, packte diese sie grob am Arm und zerrte sie zurück. Ihrem bleichen Gesicht war anzusehen, dass in ihrer Brust widerstreitende Gefühle tobten. «Frische Luft haben wir wohl alle nötig. Aber zuerst wirst du zuhören, was wir dir noch zu sagen haben.»
Henrika schüttelte Agathas Arm ab. Sie konnte es nicht ertragen, dass die Frau sie berührte. Als sie an all die kränkenden Worte dachte, mit denen sie Agatha im Laufe der Jahre bedacht hatte, wurde ihr übel.
«Natürlich enthebt uns das Ausbleiben des Geldes nicht
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