Die Meisterin der schwarzen Kunst
Schädel, und ich habe Wichtigeres zu tun, als Prozessen nachzuspüren, die nie geführt wurden. Euch möchte ich raten, die ganze Sache zu vergessen und die Toten in Frieden ruhen zu lassen.»
Niedergeschlagen verließ Hahn die Amtsstube. Mochte der eingebildete Kerl doch an seinem Silbergroschen ersticken. Die Worte des Schreibers hallten indessen noch lange in seinen Ohren nach. Einen Prozess gegen Henrikas Mutter hatte es also nicht gegeben. Nicht in Heidelberg. Aber das war unmöglich; der Schreiber musste lügen. Hahn war doch Zeuge gewesen, wie sie …
Falsch, mahnte er sich selbst, denn plötzlich fiel ihm ein, dass er der Vollstreckung des Urteils auf dem Marktplatz gar nicht beigewohnt hatte. Ein paar Männer hatten sich im Wirtshaus darüber unterhalten. Alles Weitere hatten er und Agatha sich zusammengereimt, nachdem sie die Sterbende und ihr Kind entdeckt hatten. Hatten sie den Trubel, der damals in der Stadt geherrscht hatte, vielleicht nur falsch gedeutet? War alles Lug und Trug gewesen? Ein heimtückischer Streich des Teufels, der sie genarrt und ihnen auf heimtückische Weise seine Brut untergeschoben hatte?
Der Hutmacher schüttelte gereizt den Kopf. Der Teufel bezahlte nicht fünfzehn Jahre lang mit klingender Münze. Außerdem hatte Hahn das Brandmal auf der Schulter von Henrikas Mutter mit eigenen Augen gesehen. Er versuchte sich zu erinnern, was die Frau am Fenster ihm zugerufen hatte. Irgendetwas an ihrem Bericht stimmte ihn nachdenklich, weil es nicht recht zusammenpasste.
Als er seinen Karren aus dem Hof des Küfers schob, ging es ihm auf. Bestürzt fasste er sich an den Kopf, verärgert, dass er nicht sogleich daran gedacht hatte. Die Frau hatte den Boten als Milchbart beschrieben, der auf sie wie ein Soldat gewirkt habe. Der Mann, mit dem er sich sonst immer getroffen hatte, war aber nicht mehr jung. Im Lauf der letzten fünfzehn Jahre war sein Bart grau, sein Gesicht faltig geworden. Auf Hahn hatte er nie wie ein Landsknecht oder auch nur wie ein Stadtwächter gewirkt.
Hahn ließ den Karren los und blickte verstört zum wolkenverhangenen Himmel empor, wo ganze Schwärme von schwarzen Vögeln ihre Kreise zogen. Dann eilte er weiter und schlug den Weg ein, der zum Stadttor führte.
4. Kapitel
Barthel Janson stand breitbeinig an der Uferböschung und starrte auf den Fluss. Es regnete bereits seit Stunden, und ein eisiger Wind drang durch sein Wams und das Hemd. Aber er spürte die Kälte nicht.
Ein Lächeln umspielte Barthels Lippen, als er an seine Jugend dachte, die er in den Niederlanden verbracht hatte. Dort oben im rauen Norden gewöhnte man sich rasch an unwirtliches Wetter. Barthel hatte die reine Luft geliebt, die Stürme, welche die Bäume zum Rauschen und das Meer zum Grollen brachten. Nur widerwillig hatte er seine Heimat verlassen, um der Kurfürstin Juliane von Oranien-Nassau, die wie er aus dem Land an den Deichen stammte, nach Heidelberg zu folgen. Dort war es ihm innerhalb kurzer Zeit gelungen, sich bei Hof einen Namen zu machen. Die Kurfürstin hielt große Stücke auf ihn und seinen Rat als Künstler und Baumeister. Ihrer Empfehlung war es zu verdanken, dass ihr Gemahl ihn mit diesem wichtigen Auftrag aufs Land geschickt hatte. Sie hatte nicht wissen können, was ihn hier erwartet hatte.
Barthel ließ seine Blicke über die Auen streifen. Die Lage war einfach ideal für den Bau einer Festung. Durch den Zusammenfluss beider Ströme würden ihre Mauern von Wällen aus Wasser umgeben sein. Eine vorgelagerte Insel, die sich heute nur grau und schemenhaft vor der schwarzen Oberfläche des Flusses abzeichnete, bildete einen günstigen Vorposten, ideal, um Wachtürme mit einer Geschützplattform zu errichten.
Zufrieden wandte sich Barthel den umliegenden Feldern zu. Sie waren flach, zum Strom hin nur leicht abfallend und erstreckten sich jenseits des Dorfangers bis ins Landesinnere. Lediglich in östlicher Richtung bildete ein Wald die natürliche Grenze. Die dunkle Erde der Rübenäcker war vor Einbruch des Winters umgepflügt worden, vereinzelt zierten Strohpuppen und beschriftete Steine die Grundstücke. Hier könnte eines Tages eine Stadt entstehen, dachte Barthel.
Der Bursche, den er mit seiner Depesche nach Heidelberg geschickt hatte, war nicht zurückgekommen. Angeblich war er am Sumpffieber erkrankt. Dafür hatte die kurfürstliche Kanzlei ihm drei Soldaten geschickt, die ihn dauernd überallhin begleiten wollten und ihm somit mächtig auf die Nerven fielen.
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