Die Meisterin der schwarzen Kunst
herbei. «Das ist meine Nichte Anna von Neufeld. Sie ist eigentlich die Tochter einer entfernten Verwandten. Es war mir ja nicht vergönnt, mit Geschwistern aufzuwachsen.»
«Jedenfalls gibt es keine, von denen Ihr Kenntnis habt», sagte der Graf vergnügt. «Aber wie man sich erzählt, soll Euer Vater kein Kind von Traurigkeit gewesen sein. Er war anders als die schwarz gekleideten, stets finster dreinblickenden Calvinisten, die im niederländischen Norden leben. Die würden lieber ein Pferd verschlingen, als auch nur einmal das Tanzbein zu schwingen.»
«Eure Scherze sind so alt wie der Wein in meinem Keller, mein Bester. Seitdem die Spanier meine Heimat mit Feuer und Schwert unterdrücken, haben meine Landsleute nur wenig Grund zum Lachen. Ihr solltet dafür Verständnis aufbringen, denn schließlich wart auch Ihr gezwungen, Eure Ländereien zu verlassen, weil Ihr nicht so beten wolltet, wie der Papst es vorschreibt. Davon abgesehen finde ich es nicht lustig, wenn Ihr meinem verstorbenen Vater eheliche Untreue unterstellt.» Er warf Anna von Neufeld einen warnenden Blick zu. «Was dich angeht, meine Liebe, so hoffe ich, dass dein plötzliches Interesse am Landleben nicht bedeutet, dass dir irgendein dahergelaufener Lump ein Kind gemacht hat.»
Barthels Verwandte errötete, fing sich aber sogleich. «Ich bin sicher, dass es nicht in Graf Ottos Absicht lag, Euch zu beleidigen, Onkel», sagte sie. «Davon abgesehen ist Eure Sorge um meinen guten Ruf unbegründet. Falls ich ungelegen komme oder meine Anwesenheit Euch stört, werde ich in die Kutsche steigen und nach Heidelberg zurückkehren. Ich hoffte nur, ich könnte Euch und Eurer Haushofmeisterin nützlich sein, solange Ihr hier unter Bauern und Viehhirten leben müsst.»
Der schmeichelnden Stimme des Mädchens konnte Barthel sich nicht entziehen. Er schüttelte kurz den Kopf, dann gab er sich geschlagen. «Ach was, bleib hier, wenn du unbedingt willst. Die Zollschreiberei ist groß genug. Jungfer Henrika wird schon ein Plätzchen für dich finden. Gehören all diese Truhen vor dem Haus dir? Unglaublich. Was zum Teufel schleppt ihr Frauenzimmer nur mit euch herum?»
«Nichts, was Euch bei Eurer Arbeit für Seine Durchlaucht stören wird», antwortete Anna von Neufeld. Sie schenkte Henrika ein Lächeln, das um Verständnis für die Nöte einer Frau auf Reisen warb, zuckte jedoch zusammen, als ihr Blick auf deren Kleid fiel. Sie schien es wiederzuerkennen. Henrika begriff und wurde vor Scham rot. Na warte, Barthel, dachte sie verstimmt. Du hast mein Kleid nicht von einem Schneider anfertigen lassen, sondern dich aus den Truhen deiner Nichte bedient.
«Wir werden miteinander auskommen, Jungfer Henrika», sagte Anna von Neufeld munter. «Das Hofleben mag seine Annehmlichkeiten haben, aber es ist zuweilen auch ermündend. Seit die Kurfürstin ihre Frömmigkeit entdeckt hat und täglich die Andacht in der Schlosskapelle besucht, gibt es für Mädchen unseres Alters kaum noch Zerstreuung. Am liebsten sähe es die Fürstin, wenn wir alle nur schwarze Kleider trügen, unser Haar bedeckten wie alte Weiber und von morgens bis abends den Psalter studierten.»
«Dann muss ich dir wohl Asyl gewähren, bevor du zu fromm wirst», sagte Barthel ungerührt. Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt, und Anna von Neufeld durfte bleiben.
Henrika eilte mit fliegenden Röcken den sich abwärts windenden Pfad zum Rheinufer hinunter, bis sie einen verwitterten Holzsteg fand, auf dem sie sich niederlassen konnte. Ihr Herz klopfte wild, so schnell war sie gelaufen. Aber sie war froh, ein wenig allein zu sein. Das hochherrschaftliche Gastmahl in Barthels Halle war noch in vollem Gange, aber niemand schien besonderen Wert auf ihre Anwesenheit zu legen. Auch Barthel nicht.
Die Herren sprachen dem Moselwein und dem Burgunder zu, zwei junge Mägde trugen verzierte Silberplatten mit Bergen von gebratenen Rebhühnern und gebackenen Fischen auf. Die Mädchen waren im Gefolge der Gäste gekommen und sollten bis auf weiteres im Dorf bleiben. Henrika ärgerte sich über Barthel, denn er hatte sie mit keinem Wort darauf vorbereitet, dass sich künftig eine ganze Schar von Dienstboten in dem einsamen Haus am Zollhof tummeln würde. Die erste, mit der Henrika hatte Bekanntschaft machen müssen, war eine alte Vettel, die sich Köchin schimpfte und in der Küche ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Sie hatte Henrika mit einem griesgrämigen Blick aus der Küche gejagt, als sie nach den Speisen
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