Die Meisterin der schwarzen Kunst
durchgestanden hatte. Trotz der Unordnung und des Brandgeruchs schien er sich in seinem Kabinett am wohlsten zu fühlen.
«Ich denke, wir beide wurden Opfer unserer Einbildung», sagte Henrika. «An mir ist nichts Besonderes, daher solltet Ihr nicht zu viel Aufhebens um die Sache machen. Falls im Dorf auch noch das Gerücht umgeht, ich sei mit finsteren Mächten im Bunde, werdet nicht einmal Ihr mich schützen können.»
«Mach dich nicht über mich lustig, Mädchen», fauchte Barthel ungehalten. «Und stell endlich den lächerlichen Besen weg. Du bist genauso wenig zur Magd geboren wie ich oder unser Kurfürst.» Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher, ehe er fortfuhr: «Du hast dir auch nichts eingebildet. Solche Dinge geschehen, es gibt besondere Kräfte und Fähigkeiten, obwohl heute nur noch wenige Männer und Frauen leben, die sie zu nutzen verstehen. Aber es sind keine Hexen, jedenfalls nicht im Sinne törichter Einfaltspinsel, die überall eine Verschwörung des Teufels wittern. Allerdings bin auch ich der Ansicht, dass wir über das Geschehene schweigen müssen, denn viele Menschen, welche die Gabe des Heilens besitzen, wurden noch vor dem Jahrhundertwechsel gnadenlos gejagt und getötet.»
«Vor dem Jahrhundertwechsel?» Henrika hob erstaunt die Augenbrauen.
«Auf meinen Reisen begegnete ich gelehrten Männern, die der Zahl 1600 eine besondere Bedeutung zuschreiben. Sie behütet alle, die über die Gabe des Heilens oder des Sehens verfügen. Zählst du eins und sechs zusammen, so kommst du auf sieben.»
«Ja, und?»
«Es gibt sieben Schöpfungstage, aber auch sieben Todsünden», murmelte Barthel. «Jedenfalls wurden die Heiler vielerorts der schwarzen Magie verdächtigt. Damals, als ich in meiner niederländischen Heimat auf der Flucht vor den spanischen Soldaten war, begegnete ich einer Frau, die auf die gleiche Weise heilte, wie du es getan hast. Sie versteckte sich auf dem Gehöft eines Freundes. Als es herauskam, konnte sie zwar fliehen, doch ihn schleppten die Inquisitoren vor das Haus und ließen ihn foltern.»
«Blieb er am Leben?»
Barthel nickte flüchtig. «Eine Weile später, nachdem seine Familie ihn in Sicherheit gebracht hatte, erzählte er mir von der Melodie und den Versen, die er gehört zu haben glaubte, bevor er das Bewusstsein verlor. Er schwor, dass die Melodie seine Wunden verschlossen hätte wie eine kühlende Salbe. Im Lauf der Jahre versuchte er viele Male, die Noten des Liedes zu Papier zu bringen. Er war sehr musikalisch und spielte Laute und Sackpfeife besser als die meisten Musikanten Flanderns. Aber sosehr er sich auch abmühte, er fand keinen einzigen Takt. Auch an die Worte, welche die Heilerin gesprochen hatte, konnte er sich nicht mehr erinnern. Vermutlich gäbe er sein letztes Hemd her, um dem Lied nur noch einmal zu lauschen. Das wünsche ich ihm jedoch nicht, denn gewöhnliche Sterbliche hören die Verse nur, wenn ihr Leben am seidenen Faden hängt.» Er zögerte, ehe er hinzufügte: «Damals konnte ich nur ahnen, was mein Freund erlebt hat, heute weiß ich es. Dafür danke ich dir.»
«Und was geschah mit der Frau?», wollte Henrika wissen. «Wurde sie getötet, oder konnte sie ihren Verfolgern entkommen?»
Barthel zuckte mit den Schultern. «Wer weiß. In Flandern wurde sie jedenfalls nie wieder gesehen. Mein Freund hat beschlossen, sein Leben in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Er studierte Medizin, Theologie und Astrologie. Wilhelm von Oranien, der Vater unserer gnädigen Kurfürstin, ließ sich von ihm die Sterne deuten. Bei der Suche nach dem Ursprung der rätselhaften Verse hatte mein Freund jedoch leider keinen Erfolg, obwohl es nicht an Überlieferungen mangelt. Einige Gelehrte behaupten, sie gehen auf die Worte zurück, mit denen der Teufel Eva im Garten Eden umgarnte. Andere Legenden verbinden sie mit den steinernen Gebotstafeln, die Moses zerbrach, als er sah, wie die Kinder Israels um das Goldene Kalb tanzten und Abgötterei trieben.»
In Henrikas Kopf begann es zu summen, als habe sich in ihm ein Stock Hummeln eingenistet. Sie erinnerte sich nur noch undeutlich daran, wie sie gesungen hatte. Es war, als habe ihr Geist, gelockt und begleitet von der Melodie, ihren Körper verlassen, um sich mit einem Meer aus unterschiedlichen Tönen und Geräuschen zu vereinigen.
All das war aufwühlend gewesen, verstörend und fremdartig, aber gleichzeitig auch erhebend und hoffnungsspendend.
«Willst du mir nicht sagen, wer dir die Verse und
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