Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
der Herr Festungsbaumeister Euer Vormund ist?», erkundigte sich Henrika, nachdem sich Anna neben ihr auf dem Holzsteg niedergelassen und die Beine ausgestreckt hatte. Sie beschloss, es der selbstbewussten Anna gleichzutun und ebenso freimütig mit ihr zu sprechen.
    Anna entfernte einen winzigen Käfer von ihrem Kleid. «Meine Mutter, die Gräfin Margaret von Neufeld, ist ein wenig …» Sie umschrieb den Zustand, indem sie sich respektlos mit dem Finger gegen die Stirn tippte.
    «Das tut mir aber leid», sagte Henrika mitfühlend.
    «Oh, und mir erst. Als Kind versprach sie mir andauernd etwas, hatte es aber kurz darauf schon wieder vergessen. Wenn ihr Vetter, ich meine Barthel Janson, nicht eines Tages in Heidelberg aufgetaucht wäre, hätte meine Mutter irgendwann sicherlich auch vergessen, dass sie eine Tochter hat.»
    Henrika witterte plötzlich eine Gelegenheit, mehr über Barthel in Erfahrung zu bringen. «Könnt Ihr Euch erinnern, wann er nach Heidelberg kam? Und aus welchem Grund?»
    Annas Augen blitzten auf; wider Erwarten spiegelten sich in ihnen einen Atemzug lang Argwohn und Vorsicht, dann aber zuckte sie die Achseln und sagte: «Das muss etwa fünfzehn Jahre her sein, vielleicht auch etwas mehr. Keine Ahnung, warum er seinen Wohnsitz nach Heidelberg verlegte. Ich nehme an, er fiel in seiner flämischen Heimat in Ungnade. Ein paar Jahre zuvor hatten Rebellen die Union von Utrecht ausgerufen. Wer sich ihr anschloss, sagte sich von Spanien los, aber die südlichen Provinzen beschlossen, nicht nur dem katholischen Glauben treu zu bleiben, sondern auch der spanischen Krone. Damals haben viele Menschen Flandern verlassen. Mein Glück war, dass sich auch Barthel dazu entschied. Ich hätte mein Leben ansonsten unter den Küchenmägden fristen dürfen. Mein Vater war nämlich zu dieser Zeit bereits gestorben.»
    «Und seitdem kümmert sich Barthel um Euch?»
    «Als letzter männlicher Verwandter verwaltet er das Vermögen meiner Mutter. Täte er es nicht, hätte sie ihre Zofe vermutlich schon längst mit Juwelen behängt und würde dem Kammerdiener morgens das Frühstück ans Bett bringen. Ich sagte ja schon, dass sie ein wenig … merkwürdig ist.»
    Nach einer Weile verließen die beiden Mädchen den Steg, weil ihnen zu kalt wurde. In der Zollschreiberei empfing sie ein gut gelaunter Barthel. Seine Skizzen waren vom Grafen zu Solms und dem kurfürstlichen Rat begutachtet und sehr gelobt worden. Die Männer versprachen, sie dem Kurfürsten zu empfehlen, was eine reine Formsache war, da Friedrich   IV. die Festung persönlich in Auftrag gab.
    Die Männer bestürmten den Festungsbaumeister mit allerlei Fragen, doch Bedenken gegen sein Vorhaben regten sich keine. Barthel sah erleichtert aus. Vergnügt gab er der rundlichen Magd ein Zeichen, ihm und seinen Gästen die Becher noch einmal zu füllen.
    Schließlich brach er gemeinsam mit dem Grafen zu Solms, dem kurfürstlichen Rat und dem jungen Schreiber auf. Die Männer wollten die Ländereien am Fluss und das alte Dorf kennenlernen, auf dessen Grund und Boden die Festungsanlage entstehen sollte. Barthel lag viel daran, die Unterzeichnung der Verträge mit den Schöffen des Dorfes nicht länger aufzuschieben.
    Die Hofdamen bestiegen ihre Karosse. Sie luden Anna und auf deren Bitte hin auch Henrika ein, sich zu ihnen zu gesellen.
    Die Karosse folgte zunächst der Dorfstraße, dann schlug der Kutscher den Weg ein, der über den kleinen Anger hinauf zum Kirchplatz führte. Neben dem Rathaus, einem schmucklosen Fachwerkhaus, wurden die Pferde gezügelt.
    Henrika blickte sich um und sah in die mürrischen Gesichter ihrer früheren Nachbarn, die sich bereits auf dem Platz eingefunden hatten und warteten. Spitze Pfähle waren in den Boden gerammt worden, an denen Laternen hingen. Auf dem Kirchplatz stand der Bürgermeister in Gesellschaft seiner Schöffen und des Pfarrers. Er trug ein Gewand aus grobem Tuch, das von einem Ledergürtel mit silberner Schnalle gehalten wurde, und auf dem Kopf einen breitkrempigen Hut. Henrika erkannte ihn auf Anhieb wieder und erinnerte sich voller Wehmut daran, dass der alte Litter ihn erst im vergangenen Jahr von ihrem Pflegevater hatte anfertigen lassen. Sie selbst hatte das Futter eingeschlagen und den Filz geglättet. Als sie sich inmitten der Hofdamen langsam auf die Kirche zu bewegte, wichen die Bauern vor ihr zurück wie vor einem Gespenst. Einige der Dorffrauen blickten weg, andere verzogen abfällig das Gesicht und spuckten auf

Weitere Kostenlose Bücher