Die Meisterin der schwarzen Kunst
so erinnerte sich Anna nur undeutlich an die Gegend. Sie war nie dort gewesen, aber ihre Mutter hatte das Haus als hässlich und den See als trostlos beschrieben. Sicher war es kein allzu stattlicher Besitz, der ihr durch die Lappen ging, sondern ein bescheidener Gutshof, der gerade genug abwarf, um das Bauerngesindel durchzufüttern, welches das Vieh versorgte und den Gemüsegarten hackte. Anna lag nichts an einem Bauernhaus im Wald, aber sie hatte etwas dagegen, dass Barthel so leichtfertig über ihren Besitz verfügte. Vermutlich bildete das Landgut lediglich den Anfang einer Reihe von Schenkungen, und was dann noch für sie übrig blieb, ließ sich an den Fingern einer Hand abzählen.
In diesem Moment traf Anna den Entschluss, Barthel aufzuhalten.
Es musste einen Weg geben, ihm sein Vorhaben auszureden. Fand sie ihn nicht, so musste sie wenigstens herausfinden, warum ausgerechnet Henrika diesen Flecken im Wald erhalten sollte.
«Also gut, so wichtig ist die Sache für mich ohnehin nicht», sagte sie und ließ sich von Barthel zunächst Feder und Tintenfass, dann die Streusandbüchse reichen. «Wenn Henrika ein Anrecht auf den Grundbesitz hat, unterzeichne ich Euer Dokument von Herzen gern.»
Zufrieden blickte ihr der Baumeister über die Schulter. «Brav, Mädchen, du wirst es nicht bereuen.»
Nein, lieber Onkel, dachte Anna mit einem süffisanten Lächeln. Das werde ich bestimmt nicht.
Noch in derselben Nacht wartete Anna voller Ungeduld, bis im Haus Stille eingekehrt war. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass Barthel schlafen gegangen war, zog sie sich an und stieg so leise sie konnte die schmale Stiege hinunter. Auf Zehenspitzen schlich sie durch den Gang, der zum Kabinett des Baumeisters führte, und stahl sich in den dunklen Raum.
Was sie vorhatte, war ein Wagnis. Barthel mochte sie nicht. Überraschte er sie beim Spionieren, würde er sie ohne viel Aufhebens aus dem Haus werfen. So einfach war das für ihn. Aber er unterschätzte sie, so schnell ließ sie sich nicht verjagen.
Durch das Fenster warf der Mond seinen silbernglänzenden Schein in die Stube. Er schien hell, aber nicht hell genug für das, was sie vorhatte. Unschlüssig blickte sie sich um. Wo konnte Barthel das Dokument versteckt haben? Auf dem Pult lagen nur einige zerknitterte Blätter herum. Anna trug sie ans Fenster, um wenigstens etwas davon entziffern zu können.
Wie nicht anders zu erwarten, handelte es sich um Skizzen, langweilige Entwürfe, dazu Randbemerkungen in unleserlicher Schrift, die zweifellos von ihrem Verwandten stammten. Barthel verfasste die meisten seiner Briefe in niederländischer Sprache.
Am liebsten hätte Anna den überflüssigen Kram zerrissen, aber das durfte sie nicht. Trotz ihrer Auseinandersetzung hegte Barthel nicht den leisesten Verdacht gegen sie. Auch Henrika vertraute ihr blind wie ein Schaf, auch wenn sie in letzter Zeit etwas vor ihr zu verbergen schien. Sie hatte Geheimnisse, über die zu reden sie sich weigerte. Seit dem Besuch des fetten Druckers und der beiden Milchbärte, die er mit ins Dorf gebracht hatte, ging das schon so.
Anna setzte ihre Suche fort. Die Urkunde musste doch irgendwo sein. Zunächst nahm sie sich den Eichenschrank vor, fand in diesem jedoch zu ihrer Enttäuschung nur Bücher in lateinischer und niederländischer Sprache sowie verschiedene Instrumente, die Barthel für seine Arbeit als Baumeister brauchte: ein Senkblei, Gewichte in einer mit Samt ausgekleideten Schatulle, gespitzte Kohlestifte und Zirkel an langen Messschnüren. Nichts als wertloser Plunder, der ihr wenig weiterhalf.
Als sie jedoch den Zwischenraum hinter den Büchern abtastete, stieß sie auf eine Papierrolle, die mit einem schwarzen Seidenband umwickelt war. Sie fühlte sich zwar nicht an wie die gesuchte Urkunde, erregte aber ihre Neugier. Leise zog sie die Rolle hervor, nahm sie mit ans Fenster und löste das Band. Sie musste wichtig sein, sonst hätte Barthel sie wohl kaum hinter seinen Büchern verborgen. Anna glättete das vergilbte Papier und vertiefte sich in die Zeilen, bis es ihr gelang, die ersten Sätze zu entziffern. Je mehr Anna las, desto unglaublicher erschien ihr die Entdeckung. Was Barthel auf dieser Rolle niedergeschrieben hatte, klang für sie so abenteuerlich wie ein Schauermärchen, das von alten Weibern am Kaminfeuer erzählt wurde, um Kindern den Übermut auszutreiben. War es möglich, dass die Schrift echt wahr, oder hatte Barthel das alles nur erfunden? Nein, sie musste
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