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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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glänzenden Spieße drohend auf die Gauklerschar richteten. David begriff, dass sich Henrika in ihrer Aufmachung nur ungern dem Verdacht aussetzen wollte, zu dem fahrenden Volk zu gehören. Kurz entschlossen nahm er sie am Arm und zog sie wie ein kleines Kind neben sich her.
    «Komm mit, wir gehen ins Münster, dort brauchst du vor den Bütteln keine Angst zu haben.» Er stutzte. «Du hast doch nichts ausgefressen, oder?»
    Henrika verneinte, doch ihre Empörung erschien David halbherzig, zumal sie sich noch mehrere Male verstohlen umblickte, bevor sie vor ihm durch die mächtige Tür ins Innere der Kathedrale schlüpfte.
    «Ein wunderschönes Bauwerk», bemerkte sie, während sie an der Seite des jungen Druckers über die Steinplatten schritt. Vor ihr ragte der Lettner mit seinen sieben spitzen Bögen auf, daneben der Altar, auf dem eine Anzahl Wachskerzen brannte. Rechts erhob sich die prächtige Marienkapelle mit einer Tribüne für Edelleute.
    «Ich kann verstehen, warum die Menschen in früheren Zeiten so große Gotteshäuser errichteten», flüsterte Henrika. «Hier fühlt man sich so fern von allen Sorgen und Nöten. Dort, wo ich herkomme, sind die Kirchen meist viel kleiner und haben nicht solch herrlich bunte Glasfenster.»
    «Wo du herkommst, müssen Kirchen erst noch gebaut werden», brummte David ungeduldig. «Aber du hast recht, das Münster ist ein Gebäude, in dem man die Allmacht Gottes spüren kann. Die Reformatoren, die Straßburg vor siebzig Jahren mit der gereinigten Lehre des Evangeliums beschenkten, verboten im Gegensatz zu euch Calvinisten, Kirchen zu plündern, um wertvolle Kunstschätze zu zertrümmern.» Als er Henrikas betroffenes Gesicht sah, wiegelte er schnell ab: «Ich besuche mit der Familie meines Meisters die Gottesdienste in der Kirche von St. Peter, aber ich komme ebenso gern zum Münster, wenn mich Sorgen drücken oder ich eine Weile allein sein möchte.»
    «Wie zum Beispiel gerade eben.» Henrika blickte zu Boden. Sie hatte das eigentlich nicht sagen wollen, denn es ging sie nichts an, was den jungen Mann bewegte. Auf keinen Fall wollte sie Salz in eine Wunde streuen.
    «Hast du mich etwa beobachtet?», wollte David wissen. Er schien nicht verärgert, eher besorgt.
    «Nun, es hat etwas gedauert, bevor ich wagte, dich anzusprechen», sagte Henrika zaghaft. «Erkannt habe ich dich auf Anhieb. Ich bin schon seit gestern in der Stadt, aber ich habe mich noch nicht getraut, an die Tür deines Meisters zu klopfen. Ich wollte nicht, dass Laurenz mich so sieht.»
    David verzog das Gesicht. Laurenz, aber natürlich. Seiner Versprechungen und hübschen Worte wegen war sie nach Straßburg gekommen. Vermutlich war sie dem Festungsbaumeister davongelaufen, oder der Alte hatte sie aus dem Haus gejagt, weil sie immerzu von Laurenz geschwärmt hatte und darüber faul und frech geworden war. Als er sie mit seiner Vermutung konfrontierte, rechnete er mit einem Wutausbruch, doch das Mädchen schüttelte nur den Kopf und sagte traurig: «Der Festungsbaumeister ist tot.»
    «Tot?», wiederholte David ungläubig. «Wenn er tot ist, dann kommst du also gar nicht in seinem Auftrag?»
    «Nein, und bevor du weiterfragst: Ich habe weder Geld noch eine Druckerpresse in meinem Brotbeutel.»
    David presste die Lippen aufeinander. Das hatte er ja wieder fein hinbekommen. Wen wunderte es, dass Laurenz bei den Frauen stets mehr Glück hatte, wenn er so viel Feingefühl besaß wie ein Maulesel. Henrika hatte ihren Dienstherrn verloren und lebte seither im Elend. Sie musste verzweifelt sein, doch alles, was ihm dazu einfiel, war, dass Carolus nun nicht mehr auf die Unterstützung des Baumeisters zählen konnte.
    «Nun wird mir einiges klar», sagte er langsam. «Carolus hat während der Wintermonate ein halbes Dutzend Briefe an den Festungsbaumeister geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Vermutlich haben ihn die Briefe gar nicht mehr erreicht, und seine Erben haben anderes im Sinn, als einen Gazettendrucker zu unterstützen.»
    Henrika nickte abwesend. «Das überrascht mich nicht.»
    «Und wie ist es geschehen? Ein Unfall auf der Festungsbaustelle? Nein? Das Fieber? In Straßburg waren vor dem heiligen Christfest etliche Todesopfer zu beklagen. Die Ratsherren haben versucht, es zu verheimlichen, damit die Angst vor einer Seuche nicht zur Panik heranwächst.»
    «Es war weder ein Unfall noch eine Seuche», sagte Henrika unvermittelt. Ihre Stimme begann zu zittern, als kämpfe sie mühsam gegen aufsteigende

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