Die Memoiren des Grafen
sagt.»
«Ich bin überzeugt, Baron, dass Sie die Lage zu pessimistisch beurteilen», meinte Anthony freundlich. «Ich kenne diese Zeitungsleute. Sie sitzen auf ihren Manuskripten und brüten sie aus wie Eier. Es vergeht bestimmt mindestens ein Jahr, bis die Sache publiziert wird.»
«Keineswegs! Alles bereits ist vorbereitet, um zu erscheinen in nächste Sonntagsblatt!»
«Oh!» Jetzt war Anthony selbst etwas erschrocken. «Aber Sie können doch jederzeit alles dementieren», meinte er dann.
«Sie Unsinn reden! Wir müssen kommen zu Geschäft. Tausend Pfund Sie sollen erhalten, nicht wahr? Sie sehen, ich weiß Bescheid.»
«Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Geheimdienst.»
«Ich Ihnen biete tausendfünfhundert Pfund.»
Anthony starrte ihn verblüfft an, dann schüttelte er betrübt den Kopf.
«Es tut mir leid, aber das kann ich nicht annehmen», sagte er.
«Gut. Ich Ihnen biete zweitausend.»
«Sie führen mich in Versuchung, Baron, aber trotzdem ist es nicht möglich.»
«Nennen Sie selbst mir Ihren Preis.»
«Sie scheinen leider die Situation nicht zu verstehen, Baron. Ich will Ihnen gern glauben, dass Sie aufseiten aller Gerechten sind und dass diese Memoiren Ihrer Sache schaden könnten. Aber ich habe nun einmal ein Versprechen gegeben und werde es auch halten. Begreifen Sie das? Ich kann mich nicht von der Gegenseite bestechen lassen. Das tut man einfach nicht.»
Der Baron hörte aufmerksam zu. Als Anthony geendet hatte, nickte er mehrmals mit dem Kopf.
«Ich gut verstehe. Das gegen Ihr englisches Ehrgefühl verstößt, nicht wahr?»
«Ich würde es vielleicht nicht so ausdrücken», erwiderte Anthony.
«Aber jedenfalls meinen wir das Gleiche.»
Der Baron erhob sich.
«Für englisches Ehrgefühl ich habe viel Respekt», verkündete er. «Wir also müssen versuchen einen anderen Weg. Ich wünschen Ihnen einen guten Morgen.»
Er klappte seine Hacken zusammen, verneigte sich und marschierte steif aus dem Zimmer.
«Möchte wissen, was er damit gemeint hat», überlegte Anthony. «Sollte das eine Drohung sein? Ich fürchte mich aber nicht im Mindesten vor dem alten Lollipop. Guter Name übrigens für ihn, dabei werde ich bleiben.»
Er ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab und überlegte, was er nun unternehmen sollte. Der Termin für die Ablieferung des Manuskripts war erst in einer Woche. Heute schrieb man den 5. Oktober, und Anthony hatte nicht vor, das Manuskript früher als nötig auszuhändigen. Wenn er ehrlich sein wollte, musste er zugeben, dass er jetzt selbst neugierig war, diese Memoiren zu lesen, und er war fest entschlossen, herauszufinden, weshalb man so viel Aufhebens davon machte.
Aber da war auch noch die Geschichte mit den Briefen.
Kurz entschlossen nahm er das Telefonbuch zur Hand und suchte den Namen Revel. Es gab sechs Revels: Edward Henry Revel, Chirurg in der Harley Street; James Revel & Co, Sattler; Lennox Revel im Herrenhaus Abbotbury, Hampstead; Miss Mary Revel mit einer Adresse in Ealing; Hon. Mrs Timothy Revel in Pont Street 487; und Mrs Willis Revel in Cadogan Square Nr. 42. Wenn er die Sattler und Miss Mary Revel ausschloss, blieben immer noch vier Adressen übrig – ganz abgesehen davon, dass er keine Ahnung hatte, ob Mrs Virginia Revel überhaupt in London wohnte. Er klappte das Buch kopfschüttelnd zu.
«Ich überlasse es dem Zufall, er wird mir schon helfen.»
Menschen wie Anthony Cade haben meistens Glück, weil sie einfach daran glauben. Tatsächlich fand Anthony die gesuchte Adresse eine halbe Stunde später, als er eine Illustrierte durchblätterte. Da waren Aufnahmen von lebenden Bildern bei einem Fest, das die Duchess of Perth organisiert hatte. Unter der Hauptfigur, einer jungen Dame in orientalischem Gewand, stand der Vermerk:
«Die Hon. Mrs Timothy Revel als Cleopatra.
Vor ihrer Verheiratung hieß, Mrs Revel
Virginia Cawthorn; sie ist die Tochter
von Lord Edgbaston.»
Anthony betrachtete das Bild einige Zeit und spitzte dabei die Lippen, als ob er pfeifen wollte. Dann riss er die ganze Seite heraus, faltete sie zusammen und steckte sie in seine Tasche. Er ging wieder in sein Zimmer, öffnete einen Handkoffer und entnahm ihm die gebündelten Briefe, zog dann die Illustration aus seiner Tasche und schob sie unter die Schnur.
Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich und schnellte herum. Ein Mann stand in der geöffneten Tür – der typische Bösewicht aus der komischen Oper. Eine finstere Gestalt mit einem kantigen, brutalen Gesicht
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