Die Memoiren des Grafen
soll er denn in England zu tun haben?»
«Das müssen Sie besser wissen als ich.»
«Sie glauben…? Sie meinen…? Natürlich kennen Sie die traurige Geschichte – ach so, ich habe verstanden. Ich war selbstverständlich damals noch nicht im Amt, aber der verstorbene Lord Caterham hat mir davon erzählt. Eine Katastrophe!»
«Der Koh-i-noor», murmelte Battle nachdenklich.
«Still, Battle!» George blickte sich misstrauisch um. «Nennen Sie um Himmels willen keine Namen. Wenn Sie schon davon sprechen müssen, so sagen Sie einfach ‹der K›.»
Der Inspektor blickte wieder einmal unbewegt.
«Sie halten doch König Victor nicht für beteiligt an diesem gestrigen Verbrechen, Battle?»
«Nur eine Möglichkeit, Sir. Wenn Sie zurückdenken, gab es damals vier Stellen, wo ein – hm – königlicher Besuch den Diamanten verstecken konnte. Chimneys war eine dieser Stellen. König Victor wurde drei Tage nach dem – Verschwinden des K in Paris verhaftet. Seither hoffte man immer, dass er uns einmal zu dem Juwel führen werde.»
«Aber Chimneys ist mindestens dutzendmal untersucht und durchstöbert worden.»
«Ja», meinte Battle trocken, «aber ein Durchstöbern ist selten erfolgreich, wenn man keine Ahnung hat, wo man suchen soll. Es ließe sich nun zum Beispiel vermuten, dass König Victor das Ding holen wollte – dass er dabei von Fürst Michael überrascht wurde und ihn deshalb erschoss.»
«Das wäre möglich», meinte George. «Ja, das scheint eine sehr gute Erklärung zu sein.»
«Ich möchte nicht so weit gehen, das zu behaupten. Es ist nur eine Möglichkeit, aber nicht mehr.»
«Warum?»
«Weil König Victor bisher noch nie einen Menschen getötet hat», erklärte Battle ernsthaft.
«Aber ein Kerl wie er, ein so gefährlicher Verbrecher…»
Battle schüttelte unbefriedigt den Kopf. «Verbrecher bleiben sich immer treu, Mr Lomax. Immerhin…»
«Ja?»
«Ich möchte mit dem Diener des Fürsten reden. Absichtlich habe ich ihn bis zuletzt aufgespart. Ich lasse ihn jetzt hierherkommen.»
Der Inspektor klingelte und gab dem eintretenden Butler seine Instruktionen. Nach kurzer Zeit kam Tredwell zurück und mit ihm ein großer, blonder Mann mit hochstehenden slawischen Backenknochen, tiefliegenden blauen Augen und starrem Ausdruck.
«Boris Anchoukoff?»
«Ja.»
«Sie waren Fürst Michaels persönlicher Diener?»
«Ich war Kammerdiener bei Seiner Hoheit.»
Der Mann sprach ein gutes Englisch, aber mit deutlich spürbarem fremdem Akzent.
«Sie wissen, dass Ihr Herr gestern Abend ermordet wurde?»
Ein tiefes Knurren wie von einem wilden Tier war die einzige Antwort. Es erschreckte George so, dass er sich schleunigst zum Fenster zurückzog.
«Um welche Zeit sahen Sie Ihren Herrn zuletzt?»
«Seine Hoheit zog sich um halb elf Uhr zurück. Ich schlief wie immer im Vorraum zu seinem Schlafzimmer. Er muss durch die andere Tür das Zimmer verlassen haben, durch die zum langen Korridor. Ich habe ihn nicht gehört. Ich bin ein ungetreuer Diener gewesen, ich schlief, während mein Herr wachte. Ich bin verflucht.»
George starrte ihn fasziniert an.
«Sie waren Ihrem Herrn sehr ergeben?», fragte Battle, indem er den Mann scharf beobachtete.
Boris schien zusammenzuschrumpfen. Er schluckte zweimal schwer. Dann wurde seine Stimme schrill vor Aufregung.
«Ich sage Ihnen, meine Herren von der englischen Polizei, ich hätte mich für ihn umbringen lassen. Und weil er nun tot ist und ich lebe, werde ich nicht mehr schlafen und ruhen, bis ich ihn gerächt habe. Wie ein Hund werde ich seinem Mörder nachspüren, und wenn ich ihn gefunden habe – ah!» Seine Augen glänzten fanatisch.
Plötzlich zog er ein langes Messer unter seiner Jacke hervor und schwang es in der Luft. Dann steckte er es wieder ein, drehte sich um und verließ das Zimmer. George Lomax starrte auf die geschlossene Tür, und die Augen fielen ihm fast aus dem Kopf. «Reinblütiger Herzoslowake», murmelte er, «unzivilisiertes Volk – eine Bande von Briganten.»
Inspektor Battle erhob sich rasch.
«Entweder ist der Mann ehrlich», bemerkte er, «oder er ist der beste Heuchler, der mir jemals begegnet ist. Und ist er das Erstere, dann mag Gott dem Mörder beistehen, falls dieser menschliche Bluthund ihn zu fassen bekommt.»
15
V irginia und Anthony schritten nebeneinander den Weg zum See hinunter. Lange Zeit schwiegen sie. Endlich unterbrach Virginia die Stille mit einem leisen Lachen.
«Du meine Güte», sagte sie. «Ist das nicht
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