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Die Memoiren des Grafen

Die Memoiren des Grafen

Titel: Die Memoiren des Grafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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stärker. «Bill», sagte sie nochmals, «wach auf! O bitte, wach auf!»
    Ganz benommen fuhr er hoch. Er lag in seinem Schlafzimmer in Chimneys. Aber ein Teil seines Traumes blieb bestehen: Virginia neigte sich über ihn und wiederholte:
    «Wachen Sie auf, Bill! Bitte, wachen Sie doch endlich auf!»
    «Hallo», sagte Bill schlaftrunken und setzte sich im Bett auf.
    «Was ist denn los?»
    Virginia seufzte erleichtert.
    «Gott sei Dank, ich dachte schon, ich würde Sie nie wach kriegen. Ich habe Sie immer wieder geschüttelt. Sind Sie jetzt wirklich wach?»
    «Ich glaube doch», meinte Bill zweifelnd. «Und ich muss Ihnen sagen, dass ich Ihr Benehmen sehr undamenhaft finde. Das gehört sich nicht für eine anständige junge Witwe.»
    «Seien Sie kein Idiot, Bill! Es geschehen merkwürdige Dinge.»
    «Was für Dinge?»
    «Merkwürdige – im Ratssaal. Ich glaubte, das Schließen einer Tür zu hören und ging hinunter. Und dann sah ich Licht im Ratssaal. Ich schlich den Korridor entlang und spähte durchs Schlüsselloch. Viel konnte ich nicht sehen, aber das Wenige genügte mir. Und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich einen netten, starken Mann zur Seite habe müsste. So kam ich hierher und versuchte Sie aufzuwecken. Aber es hat ewig lange gedauert, bis ich Sie so weit hatte.»
    «Ich verstehe», sagte Bill. «Und was soll ich jetzt unternehmen?
    Hinuntergehen und die Einbrecher angreifen?»
    «Ich bin gar nicht sicher, dass es sich um Einbrecher handelt, Bill.
    Aber wir dürfen keine Zeit verlieren – stehen Sie auf!»
    Bill kroch gehorsam aus dem Bett.
    «Warten Sie, bis ich Schuhe angezogen habe – die schweren, genagelten Stiefel. Wie nett und stark ich auch sein mag – gegen Einbrecher kämpfe ich nicht gern barfuß.»
    «Können wir jetzt gehen?», fragte Virginia.
    «Ich bin bereit», sagte Bill. Er hüllte sich in seinen Hausmantel und ergriff ein Schüreisen vom Kamin.
    «Die klassische Waffe», grinste er.
    «Los», flüsterte Virginia, «und machen Sie kein Geräusch.»
    Sie schlichen aus dem Zimmer, den Korridor entlang und die breite Freitreppe hinunter. Virginia runzelte die Brauen, als sie unten ankamen.
    «Ihre Stiefel knirschen, Bill.»
    «Nägel sind Nägel», bemerkte Bill. «Ich gebe mir alle Mühe.»
    «Sie müssen sie ausziehen», erklärte Virginia fest.
    Bill brummte.
    «Ich möchte wissen, ob Sie erkennen können, was im Ratssaal vor sich geht. Es ist sehr mysteriös, Bill. Warum sollten Einbrecher eine aufgestellte alte Rüstung auseinandernehmen?»
    «Der Kerl ist jedenfalls zu groß, um ihn in einem Stück fortzuschleppen. Darum zerlegen sie ihn und machen ein Paket daraus.» Virginia schüttelte zweifelnd den Kopf.
    «Was wollen sie denn mit einem rostigen alten Harnisch anfangen? Chimneys ist voll von wertvollen Gegenständen, die man leichter einstecken könnte.»
    Bill zuckte die Achseln.
    «Wie viele sind es?», fragte er und packte sein Schüreisen fester. «Ich konnte es nicht genau sehen, das Schlüsselloch ist zu klein. Und sie haben nur eine Taschenlampe als Lichtquelle.»
    «Wahrscheinlich sind sie jetzt bereits verschwunden», meinte Bill hoffnungsvoll.
    Er setzte sich auf der untersten Treppenstufe nieder, zog seine Stiefel aus und nahm sie in die Hand. Dann schlich er den Korridor entlang, der zum Ratssaal führte. Virginia blieb ihm auf den Fersen. Vor der massiven Eichentür hielten sie an. Alles war still, doch plötzlich presste Virginia Bills Arm, und er nickte. Ein helles Licht blitzte einen kurzen Augenblick durch das Schlüsselloch.
    Bill kniete nieder und brachte sein Auge an die Öffnung. Doch die Szene, die sich im Zimmer abspielte, ging anscheinend auf der linken Seite vor sich, sodass er sie nicht sehen konnte. Ein gedämpftes Geräusch verriet, dass die Eindringlinge sich immer noch mit dem gepanzerten Ritter beschäftigten. Bill erinnerte sich, dass dort direkt unter dem Holbein-Gemälde zwei Rüstungen nebeneinander standen. Das Licht der Taschenlampe war anscheinend auf die Arbeit gerichtet und ließ den übrigen Raum im Dunkel. Einmal glitt eine Gestalt in Bills Gesichtskreis, aber das Licht war zu schwach, um etwas Genaueres erkennen zu lassen. Es konnte sich ebenso gut um einen Mann wie um eine Frau handeln. Etwas später huschte der Schatten zurück, und man hörte wiederum das leise Klappern. Plötzlich erklang ein neuer Ton: das schwache Tapptapp von Knöcheln auf Holz.
    Bill setzte sich auf seine Fersen. «Was ist?», flüsterte

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