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Die Memoiren des Grafen

Die Memoiren des Grafen

Titel: Die Memoiren des Grafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sich vor Zorn.
    «Diesmal wird es ihm nicht glücken», knirschte er zwischen den Zähnen.
    «Er ist ein sehr anziehender Bursche», meinte Lord Caterham. «Sehr anziehend. Aber – Virginia, Sie sagten doch, er sei ein alter Freund von Ihnen?»
    «Und das ist der Grund», erklärte Virginia sehr ruhig, «weshalb ich überzeugt bin, dass Monsieur Lemoine sich irrt.»
    «Die Zeit wird es lehren, Madame», entgegnete er.
    «Wollen Sie vielleicht auch behaupten, dass er es war, der den Fürsten Michael erschoss?», fragte sie plötzlich.
    «Gewiss.»
    «O nein!», behauptete sie mit Sicherheit. «Dieses eine weiß ich genau: Mr Cade tötete den Fürsten nicht.»
    «Es besteht die Möglichkeit, dass Sie damit recht haben, Madame», sagte Lemoine langsam. «Nur eine geringe Möglichkeit. Vielleicht war es auch Boris, der in seinem Auftrag handelte und den Schuss abfeuerte.»
    «Dieser Bursche sieht wirklich unheimlich aus», meinte der Lord.
    «Ich muss jetzt gehen», bemerkte Lemoine. «Ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen mitzuteilen, wie die Dinge jetzt liegen.»
    «Sehr freundlich von Ihnen», murmelte Lord Caterham.
    «Ich hasse diesen Menschen mit seinem schwarzen Bärtchen und seiner Brille», erklärte Bundle energisch, sobald sich die Tür hinter Lemoine geschlossen hatte. «Ich hoffe nur, dass Anthony ihn zum Narren hält. Wie denkst du darüber, Virginia?»
    «Ich weiß nicht», sagte Virginia. «Ich möchte schlafen gehen.»
    «Guter Gedanke», stimmte der Lord bei. «Es ist spät.»
    Als Virginia durch die Halle ging, sah sie einen breiten Rücken, der eben durch eine Seitentür entwischen wollte.
    «Inspektor Battle!», rief sie befehlend.
    Der Inspektor – denn sie hatte ihn ganz richtig erkannt – blieb zögernd und etwas unwillig stehen.
    «Ja, Mrs Revel?»
    «Monsieur Lemoine ist hier gewesen. Er behauptet – bitte sagen Sie mir, ist es wahr, wirklich wahr, dass Mr Fish ein amerikanischer Detektiv ist?»
    Inspektor Battle nickte.
    «Das stimmt.»
    «Und Sie haben es schon lange gewusst?» Wiederum nickte der Inspektor.
    «Ich danke Ihnen», sagte sie leise.
    Bis zu diesem Moment hatte sie sich geweigert, an die Tatsache zu glauben. Und nun –?
    In ihrem Zimmer setzte sie sich in einen niedrigen Sessel und grübelte. Jedes Wort von Anthony bekam einen neuen Sinn. Was war das für ein «Beruf», von dem er gesprochen hatte? Der Beruf, den er aufgegeben hatte?
    Ein leises Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Sie hob erschrocken den Kopf. Ihr goldener Wecker zeigte halb zwei Uhr an. Nahezu zwei Stunden hatte sie hier gesessen und gegrübelt. Das Geräusch wiederholte sich – ein leises Klirren an ihrer Fensterscheibe. Virginia ging zum Fenster und öffnete es. Eine große Gestalt stand auf dem Gartenweg und bückte sich eben, um weitere Kieselsteine aufzulesen.
    Im ersten Schreck begann Virginias Herz zu pochen. Dann erkannte sie die vierschrötige Figur des Herzoslowaken Boris.
    «Ja», rief sie ganz leise, «was gibt es?»
    «Ich komme vom Herrn», erwiderte Boris mit gedämpfter, aber deutlich vernehmbarer Stimme. «Er ruft Sie.»
    «Er ruft mich?»
    «Ich soll Sie zu ihm bringen. Hier ist ein Brief!»
    Virginia trat einen Schritt zurück, und ein Stückchen Papier fiel, von einem Stein beschwert, vor ihren Füßen nieder. Sie hob es hastig auf und las:
     
    Geliebte – ich bin in großen Schwierigkeiten, aber ich kämpfe mich durch. Wollen Sie mir Vertrauen schenken und zu mir kommen?
     
    Mindestens zwei Minuten lang stand Virginia unbeweglich und las die wenigen Worte wieder und wieder.
    Dann lehnte sie sich erneut aus dem Fenster.
    «Was soll ich tun?», fragte sie.
    «Die Polizisten sind auf der anderen Seite des Hauses beim Ratssaal. Kommen Sie durch die Seitentür, ich erwarte Sie dort. Ich habe einen Wagen auf der Straße.»
    Virginia wechselte hastig ihr Kleid. Dann schrieb sie lächelnd ein paar Worte, adressierte sie an Bundle und heftete sie mit einer Stecknadel ans Kopfkissen.
    Leise stahl sie sich die Treppe hinunter, schloss die Seitentür auf und trat entschlossen hinaus.

26
     
    A m Mittwoch, den 13. Oktober um 10 Uhr vormittags, betrat Anthony Cade das Hotel Harridge und fragte nach dem Baron Lolopretjzyl, der dort ein Appartement bewohnte.
    Er wurde in den Salon geführt. Der Baron stand in steifer, abwartender Haltung vor dem Kamin. Auch Captain Andrassy war anwesend.
    «Verzeihen Sie meinen frühen Besuch, Baron», sagte Cade liebenswürdig. «Ich möchte Ihnen einen

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