Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
Tasche, andererseits hatten das Aussehen des Büros, das Fehlen des Namens an der Wand und anderes, was den Status meiner Brotgeber betraf, das einen Geschäftsmann schon vor den Kopf stoßen konnte, einen schlechten Eindruck auf mich gemacht. Doch wie dem auch sein mochte: Ich hatte mein Geld, und so begab ich mich an die Erfüllung meiner Aufgabe. Den ganzen Sonntag über arbeitete ich intensiv, und doch war ich am Montag erst bis zum Buchstaben H gekommen. Ich ging zu meinem Chef, traf ihn in denselben abgetakelten Räumen an und bekam den Bescheid, die Arbeit bis zum Mittwoch fortzusetzen und dann wieder zu erscheinen. Mittwoch war ich auch noch nicht fertig, und so schuftete ich weiter bis Freitag – das war gestern. Da konnte ich bei Mr. Harry Pinner das Resultat abliefern.
›Vielen Dank‹, sagte er. ›Ich fürchte, ich hatte die Schwierigkeit der Aufgabe unterschätzt. Die Liste wird uns eine sehr große Hilfe sein.‹
›Es hat ein bißchen lange gedauert‹, sagte ich.
›Und jetzt möchte ich‹, sagte er, ›daß Sie eine Liste aller Möbelhandlungen zusammenstellen. Die verkaufen nämlich alle Steingut.‹
›Geht in Ordnung.‹
›Kommen Sie morgen abend um sieben wieder, und berichten Sie mir, wie Sie vorankommen, und überarbeiten Sie sich nicht. Am Abend ein paar Stunden in Days Music Hall können nicht schaden.‹ Als er das sagte, lachte er, und da sah ich mit Schrecken, daß sein zweiter Zahn links unten sehr schlecht war und eine Goldplombe hatte.«
Sherlock Holmes rieb sich vergnügt die Hände, und ich starrte unseren Klienten überrascht an.
»Sie mögen erstaunt sein, Dr. Watson, aber es handelt sich um folgendes«, sagte der junge Mann. »Als ich in London mit dem anderen Burschen sprach, hatte der gelacht, weil ich bei Mawson anfangen wollte, und dabei ist mir aufgefallen, daß derselbe Zahn genauso plombiert war. Der Goldschimmer hatte damals wie jetzt meinen Blick angezogen. Ich fügte diese Entdeckung zu der Stimme und der Figur, die die gleichen waren, und bedachte, was sich durch ein Rasiermesser und eine Perücke verändern ließ, und da gab es für mich keinen Zweifel mehr, daß ich es mit ein und demselben Mann zu tun hatte. Natürlich können zwei Brüder sich sehr ähnlich sehen, aber ein und derselbe Zahn wird doch nicht auf die gleiche Weise plombiert sein. Er komplimentierte mich hinaus, und als ich auf der Straße war, wußte ich nicht, ob ich auf dem Kopf oder auf den Füßen stand. Im Hotel steckte ich den Kopf in eine Schüssel mit kaltem Wasser und versuchte alles zu durchdenken. Warum hatte er mich von London nach Birmingham gelockt? Wieso war er früher angekommen als ich? Und warum hatte er an sich selber einen Brief geschrieben? Das war zuviel für mich, ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Und dann kam mir plötzlich der Einfall, daß das, was für mich dunkel war, für Sherlock Holmes etwas leicht Durchschaubares sein könnte. So bin ich denn noch mit dem Nachtzug losge fahren, um ihn heute früh aufzusuchen und Sie beide nach Birmingham zu holen.«
Nachdem der Gehilfe des Börsenmaklers den Bericht über sein erstaunliches Erlebnis beendet hatte, herrschte erst einmal Stille. Sherlock Holmes richtete den Blick auf mich. Er lehnte in den Polstern, sein Gesicht zeigte Zufriedenheit und doch auch ein Zögern wie das eines Weinkenners, der gerade den ersten Schluck von einem ausgezeichneten Jahrgang gekostet hat.
»Schöne Geschichte, Watson, wie?« sagte er. »Es gibt ein paar Sachen, die mir gefallen. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, daß eine Unterhaltung mit Mr. Arthur Harry Pinner in dem provisorischen Büro der Franco-Midland-Metallwaren-Company eine interessante Erfahrung für uns beide sein könnte.«
»Aber wie sollen wir das anstellen?« fragte ich.
»Ach, ganz leicht«, sagte Hall Pycroft aufgeräumt. »Sie sind zwei Freunde von mir, die sich nach einer Arbeit umschauen, und was wäre natürlicher, als daß ich Sie dem Geschäftsführenden Direktor vorstelle?«
»So ist es, ganz genau so!« sagte Holmes. »Ich möchte einen Blick auf diesen Gentleman werfen und sehen, ob ich aus der Geschichte schlau werde. Welche Fähigkeiten haben Sie, mein Freund, die Ihre Dienste ihm so wertvoll machen? Oder wäre es möglich, daß…« Er begann an den Fingernägeln zu kauen und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster, und wir bekamen kaum noch
ein Wort aus ihm heraus, bis wir in der New Street
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