Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
guten Mann für meinen Bruder gewonnen zu haben. Hier ist Ihr Vorschuß über einhundert Pfund, und hier der Brief. Notieren Sie sich die Adresse: Corporation Street 126 b. Und vergessen Sie nicht, daß Sie morgen um ein Uhr verabredet sind. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und das Glück, das Sie verdienen.‹
Das war ungefähr alles, soweit ich mich erinnere. Sie können sich wohl vorstellen, Dr. Watson, wie froh ich über das außergewöhnliche Glück war, das mir widerfuhr. Die halbe Nacht lag ich wach und gratulierte mir immer wieder, und am nächsten Tag reiste ich mit einem Zug nach Birmingham, der mir viel Zeit bis zu der Verabredung ließ. Ich brachte mein Gepäck in ein Hotel in der New Street und machte mich dann auf den Weg zu der Adresse, die ich erhalten hatte. Eine Viertelstunde vor der Zeit war ich dort, aber ich dachte, das kann nicht schaden. Der Eingang zu Nummer 126 b liegt zwischen zwei großen Läden. Das Haus hat eine steinerne Wendeltreppe, von der viele Appartements abgehen, die an Gesellschaften oder Geschäftsleute vermietet sind. Die Namen sind mit Farbe an die Wände geschrieben, aber einen Namen wie Franco-Midland-Metallwaren-Company gab es nicht. Zwei Minuten stand ich, das Herz war mir in die Hose gerutscht, und ich fragte mich, ob das Ganze nicht ein ausgemachter Jux war, als ein Mann die Treppe heraufkam und mich ansprach. Er ähnelte dem Burschen sehr, den ich am Abend zuvor kennengelernt hatte, dieselbe Figur, dieselbe Stimme, nur war er glattrasiert und hatte helleres Haar.
›Sind Sie Mr. Hall Pycroft?‹ fragte er.
›Ja‹, sagte ich.
›Ich erwarte Sie, aber Sie sind ein bißchen früh dran. Heute morgen erhielt ich einen Brief von meinem Bruder, der Sie in den höchsten Tönen lobt.‹
›Ich habe nach Ihrem Büro Ausschau gehalten, bevor Sie kamen.‹
›Unser Firmenname ist noch nicht angeschrieben, denn wir haben vorige Woche erst diese provisorische Unterkunft gefunden. Darf ich Sie mit mir nach oben bitten, da können wir alles besprechen.‹
Ich folgte ihm eine hohe Treppe hinauf, und unterm Dach führte er mich in einige leere, staubige Zimmer ohne Teppiche und Vorhänge. Ich hatte an ein großes Büro mit polierten Tischen und Scharen von Angestellten gedacht, so wie ich es gewohnt war, und starrte nun auf zwei Kiefernholzstühle und einen kleinen Tisch, die zusammen mit einem Hauptbuch und einem Papierkorb das ganze Mobiliar darstellten.
›Lassen Sie sich nicht entmutigen, Mr. Pycroft‹, sagte mein neuer Bekannter, als er sah, daß mein Gesicht immer länger wurde. ›Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden, und hinter uns steckt viel Geld, wenn wir das auch nicht in Eleganz ausstellen. Bitte, setzen Sie sich und geben Sie mir das Schreiben.‹
Ich gab es ihm, und er las es sorgfältig durch.
›Sie scheinen ja großen Eindruck auf meinen Bruder Arthur gemacht zu haben‹, sagte er, ›und ich weiß, daß er ein verdammt schlauer Menschenkenner ist. Er schwört auf London, müssen Sie wissen, und ich auf Birmingham. Aber diesmal werde ich seinem Rat folgen. Bitte, betrachten Sie sich als angestellt.‹
›Was sind meine Aufgaben?‹ fragte ich.
›Sie werden erst einmal das große Lager in Paris leiten, von dem aus sich eine Flut englischer Töpferware in die Läden unserer einhundertvierunddreißig Agenten in Frankreich ergießen wird. Die Einrichtung ist in einer Woche beendet. Sie bleiben inzwischen in Birmingham und machen sich nützlich.‹
›Wie denn?‹
Als Antwort zog er ein dickes rotes Buch aus einer Schublade.
›Das ist ein Adreßbuch von Paris‹, sagte er. ›Die einzelnen Firmen sind nach den Namen ihrer Inhaber aufgeführt. Ich möchte, daß Sie es mit nach Hause nehmen und alle Eisenwarenhändler mit ihren Adressen herausziehen. Eine solche Liste wäre von größtem Nutzen für mich.‹
›Es gibt doch sicherlich schon derartige Aufstellungen‹, gab ich zu bedenken.
›Keine verläßlichen. Das System der Zusammenstellung weicht von unserem ab. Machen Sie sich an die Arbeit, und bringen Sie mir die Liste am Montag um zwölf. Guten Tag, Mr. Pycroft. Wenn Sie weiterhin Eifer und Intelligenz an den Tag legen, werden Sie sehen, daß unsere Gesellschaft ein guter Brotgeber ist.‹
Ich ging, das dicke Buch unterm Arm, die widerstreitendsten Gefühle in der Brust, in mein Hotel zurück. Einerseits war ich nun endgültig angestellt und hatte hundert Pfund in der
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