Die Menschenleserin
»Du hast noch einen Gast.« Sie zeigte dabei auf die Vordertür, wo Winston Kellogg wartete.
»Ich komme mit leeren Händen«, gestand er.
»Wir haben mehr, als wir je essen können. Falls Sie möchten, können Sie sich nachher etwas mitnehmen. Übrigens, sind Sie gegen etwas allergisch?«
»Gegen Pollen, ja. Aber nicht gegen Hunde.«
Kellogg hatte sich ein weiteres Mal umgezogen. Das Sakko war dasselbe, aber er trug ein Polohemd und Jeans, Bootsschuhe und gelbe Socken.
Er bemerkte Kathryns Blick. »Ich weiß. Für einen Bundesagenten sehe ich überraschend nach typischem Familienvater aus.«
Sie führte ihn in die Küche und stellte ihn Edie vor. Dann gingen sie hinaus auf das Deck, wo er zahlreiche weitere Hände schütteln musste. Dance äußerte sich nicht näher zu seiner Person, und Kellogg sagte lediglich, er sei aus Washington hergekommen, um »mit Kathryn an einer Reihe von Projekten zu arbeiten«.
Danach nahm sie ihn mit hinunter in den Garten und machte ihn mit den Kindern bekannt. Dance ertappte Wes und Tyler dabei, wie sie ihn forschend ansahen, zweifellos um nach seiner Waffe Ausschau zu halten, und sich etwas zuflüsterten.
O’Neil gesellte sich hinzu.
Wes winkte ihm begeistert zu und kehrte nach einem weiteren Blick auf Kellogg zu ihrem Spiel zurück, das er offenbar aus dem Stegreif improvisierte. Er schilderte die Regeln. Es schien um das Weltall und unsichtbare Drachen zu gehen. Die Hunde waren Aliens. Die Zwillinge stellten irgendwelche Adlige dar, und ein Kiefernzapfen war entweder eine Zauberkugel oder eine Handgranate, vielleicht auch beides.
»Haben Sie Michael schon von Nagle erzählt?«, fragte Kellogg.
Sie fasste für den Detective zusammen, was sie über Pells Vorgeschichte erfahren hatten, und fügte hinzu, dass der Autor in Erfahrung bringen würde, ob Theresa Croyton bereit wäre, mit ihnen zu reden.
»Demnach glaubst du, dass Pell wegen der Croyton-Morde hiergeblieben ist?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Aber ich brauche jede Information, die ich kriegen kann.«
Der Detective lächelte. »Nichts unversucht lassen«, sagte er zu Kellogg. »Das ist typisch für Kathryns Arbeit.«
»Und gelernt habe ich das alles von ihm«, sagte Dance lachend.
»Ach, übrigens, mir ist etwas eingefallen«, sagte O’Neil dann.
»Bei einem von Pells Telefonaten in Capitola ging es um Geld, wisst ihr noch?«
»Neuntausendzweihundert Dollar«, sagte Kellogg.
Dance war von seinem guten Gedächtnis beeindruckt.
»Also, Folgendes: Wir wissen, dass der Thunderbird in Los Angeles gestohlen wurde. Daher scheint es nur logisch, dass Pells Freundin von dort stammt. Wie wär’s, wenn wir mit den Banken in L. A. County Kontakt aufnähmen, um herauszufinden, ob eine Kundin diesen Betrag in den letzten ein oder zwei Monaten abgehoben hat?«
Dance gefiel der Vorschlag, obwohl er eine Menge Arbeit bedeuten würde.
»Das müsste von Ihrer Seite kommen«, wandte O’Neil sich an Kellogg. »Finanzministerium, Steuerfahndung oder Heimatschutz, würde ich sagen.«
»Die Idee ist gut, aber lassen Sie mich mal laut nachdenken. Es könnte sein, dass wir damit an unsere Grenzen stoßen.« Er teilte also Dances Sorge. »Immerhin reden wir hier über Millionen von Kunden. Ich weiß, dass die Dienststelle in Los Angeles es nicht allein bewältigen könnte, und die Homeland Security würde uns auslachen. Und falls die Frau schlau war, hat sie über einen gewissen Zeitraum mehrere kleinere Abhebungen getätigt. Oder Schecks von dritter Seite eingelöst und das Geld eingesteckt.«
»Sicher. Kann gut sein. Aber es wäre großartig, die Identität seiner Freundin zu kennen. Sie wissen doch, ›ein zweiter Verdächtiger...‹«
»... ›erhöht die Aussicht auf Entdeckung und Festnahme exponentiell‹«, vervollständigte Kellogg das Zitat aus einem alten Lehrbuch der Strafverfolgung. Dance und O’Neil nahmen oft darauf Bezug.
Kellogg sah O’Neil lächelnd in die Augen. »Wir Bundesbehörden haben längst nicht die Ressourcen, die man uns gemeinhin zuschreibt. Ich bin sicher, wir könnten nicht genug Leute auftreiben, um all die Anrufe zu erledigen. Es wäre eine gewaltige Aufgabe.«
»Ich weiß nicht recht. Man sollte meinen, es müsste ziemlich einfach sein, Datenbanken abzufragen, zumindest bei den großen Bankgesellschaften.« Michael O’Neil konnte ganz schön hartnäckig sein.
»Würden wir einen Gerichtsbeschluss benötigen?«, fragte Dance.
»Um den konkreten Namen zu erfahren, vermutlich
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