Die Menschenleserin
hatten, sondern auch ihren umgänglichen Mischlingshund Fawlty.
»Mom, bitte!«, rief Maggie. Es war klar, was sie wollte.
»Okay, okay, lass sie aus ihrem Gefängnis.«
Maggie befreite Patsy und Dylan aus dem Schlafzimmer. Die drei Hunde liefen hinaus in den Garten und fingen sofort an, miteinander zu spielen und die neuen Gerüche aufzunehmen.
Kurz darauf traf ein weiteres Paar auf dem Deck ein. Der Mittvierziger Steven Cahill hätte als Fotomodell für Birkenstock arbeiten können, komplett mit Kordhose und graumeliertem Pferdeschwanz. Seine Frau, Martine Christensen, strafte ihren skandinavisch klingenden Nachnamen Lügen; sie war temperamentvoll, dunkelhäutig und sinnlich. Man hätte vermuten können, in ihren Adern fließe spanisches oder mexikanisches Blut, aber ihre Vorfahren hatten schon lange vor den ersten Siedlern in Kalifornien gelebt. Sie war zum Teil eine Ohlone-Indianerin – die Ohlone waren eine lose Gemeinschaft kleiner Stämme, die als Jäger und Sammler das Gebiet von Big Sur bis zur San Francisco Bay bewohnt hatten. Jahrhunderte-, wahrscheinlich sogar jahrtausendelang hatte es in diesem Teil des Staates außer den Ohlone keine anderen Menschen gegeben.
Dance hatte Martine vor einigen Jahren in Monterey anlässlich eines Konzerts in einem College kennengelernt, einem Nachfolger des berühmten Monterey Folk Festivals, bei dem Bob Dylan 1965 seinen ersten Auftritt an der Westküste gehabt hatte und das einige Jahre später zu dem sogar noch berühmteren Monterey Pop Festival wurde, das Jimi Hendrix und Janis Joplin Weltruhm verschaffte.
Das Konzert, bei dem Dance und Martine sich getroffen hatten, war weniger epochal als seine Vorgänger, erwies sich in persönlicher Hinsicht aber als weitaus bedeutender. Die Frauen kamen sofort glänzend miteinander aus und blieben noch lange nach dem letzten Auftritt dort, um über Musik zu reden. Schon bald waren sie beste Freundinnen. Es war Martine, die Dance nach Bills Tod mehrmals praktisch die Tür eingetreten hatte, um ihre Freundin davor zu bewahren, sich einfach aufzugeben und von nun an ein einsames Leben als Witwe zu führen. Während manche Leute Kathryn gemieden und andere (darunter ihre Mutter) sie mit Anteilnahme und Hilfsangeboten förmlich überschüttet hatten, war Martine entschlossen, die Trauer mehr oder weniger zu ignorieren. Sie plapperte drauflos, machte Witze, fing Diskussionen an und schmiedete Pläne. Und bei aller Zurückhaltung musste Dance irgendwann erkennen, dass es, verdammt noch mal, funktioniert hatte. Martine war womöglich der wichtigste Faktor dafür gewesen, dass Kathryn ihr Leben wieder in den Griff bekommen hatte.
Steves und Martines Zwillingssöhne, ein Jahr jünger als Maggie, folgten den beiden die Treppe herauf. Einer trug den Gitarrenkoffer seiner Mutter, der andere ein Geschenk für Stuart. Nach der Begrüßung nahm Maggie die Jungen in den Garten mit, wo Wes seinen Gameboy herumgehen ließ.
Die Erwachsenen zog es zu einem wackligen, von Kerzen beschienenen Tisch.
Dance sah, dass Wes so glücklich schien wie schon lange nicht mehr. Er war ein geborener Organisator und bereitete nun ein Spiel für die Kleineren vor.
Sie dachte erneut an Brian, dann beließ sie es dabei.
»Der Ausbruch. Hast du...?« Martines melodiöse Stimme erstarb, sobald sie sah, dass Dance wusste, was sie meinte.
»Ja. Ich leite die Fahndung.«
»Also kriegst du alles als Erste ab«, stellte ihre Freundin fest.
»Voll in die Schnauze. Falls ich vor dem Kuchen plötzlich wegmuss, dann deswegen.«
»Schon komisch«, sagte Tom Barber, ein Journalist und freier Schriftsteller. »Wir denken die ganze Zeit über Terroristen nach. Die sind die neuen Lieblingsschurken. Und plötzlich schleicht sich jemand wie Pell an dich heran. Man vergisst oft, dass es Leute wie er sind, die für die meisten von uns vermutlich die größte Bedrohung darstellen.«
»Die Menschen bleiben zu Hause«, fügte Barbers Frau hinzu.
»Auf der ganzen Halbinsel. Sie haben Angst.«
»Ich bin nur aus einem einzigen Grund hergekommen«, sagte Steven Cahill. »Ich wusste, hier würden Leute mit Knarren sein.«
Dance lachte.
Auch Michael und Anne O’Neil kamen mit ihren beiden Kindern, Amanda und Tyler, neun und zehn Jahre alt. Maggie stieg abermals die Stufen empor. Dann nahm sie die neuen Kinder in den Garten mit, nachdem sie sich Limonade und Chips gegriffen hatten.
Dance wies auf Wein und Bier hin und wollte dann in der Küche helfen, aber ihre Mutter sagte:
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