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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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ja«, sagte O’Neil. »Aber eine hilfsbereite Bank könnte die Zahlen durchgehen und uns mitteilen, ob es überhaupt einen Treffer gibt. Den Beschluss zur Herausgabe des Namens und der Adresse hätten wir dann binnen einer halben Stunde.«
    Kellogg trank einen Schluck Wein. »Es gibt leider noch ein Problem. Ich fürchte, falls wir meinen Vorgesetzten oder der Heimatschutzbehörde mit diesem eher dürftigen Vorschlag kommen, verlieren wir vielleicht den Rückhalt, den wir später für etwas Stichhaltigeres gut gebrauchen könnten.«
    »Weil wir blinden Alarm geschlagen haben.« O’Neil nickte.
    »Ich schätze, man muss auf diesem Level etwas taktischer vorgehen als hier bei uns.«
    »Aber lassen Sie uns darüber nachdenken. Ich werde ein wenig herumtelefonieren.«
    O’Neil sah an Dances Schulter vorbei. »He, herzlichen Glückwunsch, junger Mann.«
    Stuart Dance, der einen Anstecker mit der Aufschrift »Geburtstagskind« trug, den Maggie und Wes ihm gebastelt hatten, schüttelte Hände, schenkte O’Neil und Dance Wein nach und sagte zu Kellogg: »Sie reden über die Arbeit. Das ist nicht gestattet. Ich entführe Sie jetzt von diesen Kindern. Kommen Sie, spielen Sie mit den Erwachsenen.«
    Kellogg lachte leise auf und folgte dem Mann zu dem von Kerzen erhellten Tisch, an dem Martine ihre abgenutzte Gibson-Gitarre aus dem Koffer genommen hatte und nun ein Lied zum Mitsingen intonieren wollte. Dance und O’Neil blieben allein zurück. Sie sah, dass Wes zu ihnen herüberschaute. Offenbar hatte er die Erwachsenen beobachtet. Er wandte sich ab und widmete sich wieder der Star-Wars -Improvisation.
    »Er scheint gut zu sein«, sagte O’Neil und nickte in Kelloggs Richtung.
    »Winston? Ja.«
    O’Neil nahm es ihm nicht übel, dass der FBI-Agent seinen Vorschlag abgelehnt hatte. Er war wirklich alles andere als zartbesaitet.
    »Hat er kürzlich was abgekriegt?« O’Neil fasste sich an den Hals.
    »Woher weißt du das?« Der Verband war heute Abend nicht zu sehen.
    »Er hat die Stelle berührt, wie man eine Wunde berühren würde.«
    Sie lachte.
    »Eine gute kinesische Analyse. Ja, es ist gerade erst passiert. Er war in Chicago. Der Verdächtige hat zuerst geschossen, schätze ich, und Win hat ihn unschädlich gemacht. Genaueres weiß ich auch nicht.«
    Sie verstummten und blickten hinaus in den Garten, zu den Kindern, den Hunden und den Lichtern, die in der zunehmenden Abenddämmerung immer heller leuchteten. »Wir werden ihn erwischen.«
    »Werden wir das?«, fragte sie.
    »Ja. Er wird einen Fehler machen. Das machen sie immer.«
    »Ich weiß nicht. Er ist anders. Spürst du das nicht auch?«
    »Nein. Er ist nicht anders. Er ist bloß mehr .« Michael O’Neil – der belesenste Mensch, den sie kannte – hatte überraschend simple Ansichten über das Leben. Er glaubte nicht an Gut oder Böse, ganz zu schweigen von Gott oder dem Teufel. Das waren für ihn alles nur Abstraktionen, die von der Arbeit ablenkten, nämlich Leute einzufangen, die gegen die Regeln verstoßen hatten, mit denen die Gesellschaft das Wohl und die Sicherheit des Einzelnen schützte.
    Keine Guten, keine Bösen. Lediglich zerstörerische Kräfte, die aufgehalten werden mussten.
    Für Michael O’Neil war Daniel Pell ein Tsunami, ein Erdbeben, ein Tornado.
    Er sah den Kindern beim Spielen zu. »Dieser Bursche, mit dem du dich manchmal getroffen hast...«, sagte er dann. »Ist es vorbei?«
    Brian hat angerufen ...
    »Das ist dir also aufgefallen, ja? Hereingelegt von meiner eigenen Assistentin.«
    »Tut mir leid. Ehrlich.«
    »Du weißt doch, wie das ist«, sagte Dance und registrierte, dass sie damit einen dieser Sätze gesagt hatte, die das bedeutungslose Füllwerk einer Unterhaltung darstellten.
    »Na klar.«
    Dance hob den Kopf, um zu sehen, ob ihre Mutter schon das Abendessen auftrug, und merkte, dass O’Neils Frau sie beide ansah. Anne lächelte.
    Dance lächelte zurück. »Komm«, sagte sie zu O’Neil. »Lass uns zu den anderen gehen.«
    »Muss ich etwa singen?«
    »Bloß nicht«, antwortete sie hastig. Er hatte eine wundervolle tiefe Sprechstimme mit natürlichem Vibrato, konnte beim Singen aber nicht mal unter Androhung von Folter auch nur einen Ton halten.
    Nach einer halben Stunde Musik, Plauderei und Gelächter servierten Edie Dance, ihre Tochter und ihre Enkelin in Worcestersoße marinierte Steaks mit Salat, Spargel und gratinierten Kartoffeln. Dance setzte sich neben Winston Kellogg, der sich inmitten all der Fremden sehr gut

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