Die Menschenleserin
rauswerfen.«
»Außerdem war Daniel ein Frauenheld und kam mit Männern in seinem näheren Umfeld nicht gut zurecht.«
Dance lotste sie zurück zu dem Feiertag.
»Es war schönes Wetter«, fuhr Linda fort. »Die Sonne schien. Ein warmer Tag. Bei uns lief Musik. Jimmy hatte eine wirklich gute Anlage zusammengestellt.«
»Haben Sie ein Tischgebet gesprochen?«
»Nein.«
»Obwohl Ostern war?«
»Ich habe es vorgeschlagen«, sagte Rebecca. »Aber Pell wollte nicht.«
»Stimmt«, sagte Linda. »Er hat sich darüber aufgeregt.«
Sein Vater, vermutete Dance.
»Wir haben im Garten ein paar Spiele gespielt. Frisbee, Badminton. Dann habe ich das Abendessen serviert.«
»Ich hatte einen guten Cabernet geklaut«, sagte Rebecca. »Wir Mädchen und Jimmy haben Wein getrunken – Pell war Abstinenzler. Oh, ich war ganz schön besoffen. Sam auch.«
»Und wir haben viel gegessen.« Linda hielt sich den Bauch.
Dance hakte weiter nach. Ihr war bewusst, dass Winston Kellogg sich aus dem Gespräch zurückgezogen hatte. Er mochte ein Kultexperte sein, aber das hier überließ er ihrer Sachkenntnis. Sie wusste es zu schätzen.
»Nach dem Essen haben wir einfach noch zusammengesessen und geredet«, sagte Linda. »Sam und ich haben gesungen. Jimmy hat an seinem Computer herumgebastelt. Daniel hat irgendwas gelesen.«
Die Erinnerungen kamen nun in rascherer Folge, wie in einer Kettenreaktion.
»Trinken, reden, ein Familienfeiertag.«
»Ja.«
»Wissen Sie noch, worüber Sie geredet haben?«
»Ach, über irgendwelches Zeug, Sie wissen schon...« Linda verstummte. »Moment«, sagte sie dann. »Da fällt mir etwas ein, das für Sie interessant sein könnte.« Sie neigte leicht den Kopf. Es war eine Reaktion auf ein Wiedererkennen, doch nach der Richtung von Lindas Blick zu schließen – der zu einer nahen Vase mit künstlichen Amaryllen ging -, hatte der Gedanke noch nicht völlig Gestalt angenommen. Dance sagte nichts: Wenn man jemanden direkt nach einer schwer fassbaren Erinnerung fragt, wird sie dadurch oftmals ausgelöscht.
»Das war nicht an Ostern, sondern bei einem anderen Abendessen«, fuhr die Frau fort. »Aber der Gedanke an Ostern hat mich darauf gebracht. Daniel und ich waren in der Küche. Er hat mir beim Kochen zugeschaut. Und nebenan gab es einen lauten Krach. Die Nachbarn haben sich gestritten. Er sagte, er könne es nicht erwarten, aus Seaside wegzukommen. Auf seinen Berggipfel.«
»Berggipfel?«
»Ja.«
» Seinen ?«, fragte Kellogg.
»Das hat er gesagt.«
»Hat ihm denn irgendein Grundstück gehört?«
»Er nie etwas dergleichen erwähnt. Als er von ›seinem Berggipfel‹ sprach, hat er vielleicht gemeint, dass er so etwas eines Tages haben wollte .«
Rebecca wusste nichts darüber.
»Ich kann mich ganz genau erinnern«, sagte Linda. »Er wollte weg von allem. Nur wir, nur die Familie, ohne sonst jemanden in der Nähe. Ich glaube, das war das einzige Mal, dass er davon geredet hat.«
»Aber nicht in Utah. Sie haben beide gesagt, er habe Utah nie erwähnt.«
»Richtig«, bestätigte Rebecca. »Doch warten Sie... wo wir gerade von dieser Sache sprechen... ich weiß nicht, ob es weiterhilft, aber mir fällt auch etwas ein. Es passt zu dem anderen Vorfall. Als wir eines Nachts im Bett gelegen haben, hat er gesagt: ›Ich muss es schaffen, einen Hauptgewinn zu erzielen; einen, der genug Geld bringt, dass ich mich vom Rest der Welt absetzen kann.‹ Das weiß ich noch. Er hat ›Hauptgewinn‹ gesagt.«
»Was hat er damit gemeint? Einen Raubüberfall, um Grundbesitz kaufen zu können?«
»Könnte sein.«
»Linda?«
Sie wusste nichts davon und schien beunruhigt zu sein, dass er nicht alles mit ihr geteilt hatte.
Dance stellte die naheliegende Frage: »Könnte mit dem Hauptgewinn der Einbruch bei den Croytons gemeint gewesen sein?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Rebecca. »Er hat uns nicht erzählt, dass er und Jimmy an jenem Abend dorthin wollten.«
Womöglich hat er ja doch etwas Wertvolles aus dem Haus der Croytons gestohlen, spekulierte Dance. Als die Polizei gekommen ist, hat er es versteckt. Sie dachte an das Auto, mit dem er zu dem Einbruch gefahren war. Hatte man es gründlich durchsucht? Wo war es heute? Vielleicht zerstört, vielleicht im Besitz einer anderen Person. Sie notierte sich, dass sie versuchen mussten, den Wagen zu finden. Und überprüfen, ob Pell irgendwo Grundbesitz hatte.
Berggipfel... Könnte er danach gesucht haben, als er in Capitola die Internetseite von Visual-Earth
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