Die Menschenleserin
angewählt hatte?
Es waren immer noch Fragen offen, aber Dance war mit den bisherigen Fortschritten zufrieden. Sie hatte endlich das Gefühl, ein paar Einblicke in Daniel Pells Verstand erhalten zu haben. Bevor sie mit der Unterredung fortfahren konnte, klingelte ihr Telefon.
»Bitte entschuldigen Sie mich.«
Sie nahm das Gespräch an.
»Kathryn. Ich bin’s.«
Sie drückte sich das Telefon fester ans Ohr. »TJ, was ist los?«
Und sie wappnete sich. Die Tatsache, dass er sie nicht »Boss« genannt hatte, bedeutete, dass er eine schlechte Nachricht überbringen würde.
... Neunundzwanzig
Kathryn Dance und Winston Kellogg folgten einer Straße, die mit einer dünnen Schicht aus feuchtem Sand bedeckt war, zu TJ und Michael O’Neil, die vor dem offenen Kofferraum eines Lexus neueren Baujahrs standen.
Bei ihnen war noch ein anderer Mann, einer der Beamten der Coroner’s Division, die in Monterey County Teil des MCSO ist. »Hallo, Kathryn«, begrüßte sie der rundliche Deputy mit dem schütteren Haar.
Dance machte ihn mit Kellogg bekannt und sah dann in den Kofferraum. Das Opfer, eine Frau, lag auf der Seite. Ihre Beine waren gebeugt, Hände und Mund mit Isolierband umwickelt. Nase und Gesicht leuchteten rot. Zahlreiche Blutgefäße waren geplatzt.
»Susan Pemberton«, sagte O’Neil. »Wohnhaft in Monterey. Alleinstehend, neununddreißig.«
»Die vermutliche Todesursache ist Ersticken?«
»Die Kapillaren sind geweitet, die Schleimhäute sehr stark gereizt und angeschwollen«, erklärte der Deputy Coroner. »Sehen Sie diese Rückstände dort? Ich bin sicher, es handelt sich um ein Capsicum-Oleoresin.«
»Er hat ihr Pfefferspray verpasst und ihr dann den Mund zugeklebt?«
Der Beamte nickte.
»Furchtbar«, murmelte O’Neil.
Allein, unter schrecklichen Schmerzen und als Sarg einen schändlichen Kofferraum. Dance verspürte jäh eine gewaltige Wut auf Daniel Pell.
O’Neil erklärte, dass die Vermisstenmeldung, der er nachgegangen war, sich auf Susan bezogen hatte.
»Sind wir sicher, dass es Pell gewesen ist?«
»Er war es«, sagte der Beamte der Coroner’s Division. »Die Fingerabdrücke stimmen überein.«
»Ich habe angeordnet, dass bei jedem Mordfall in der Gegend noch vor Ort die Abdrücke überprüft werden«, fügte O’Neil hinzu.
»Gibt es irgendeinen Hinweis auf das Motiv?«
»Eventuell. Sie hat für eine Veranstaltungsagentur gearbeitet. Anscheinend hat er sie gezwungen, das Büro für ihn zu öffnen und ihm zu zeigen, wo die Akten sind. Er hat alle mitgenommen. Die Spurensicherung hat die Geschäftsräume untersucht. Bislang ohne schlüssige Erkenntnisse, abgesehen von seinen Fingerabdrücken.«
»Wie hat er die Frau gefunden?«
»Ihre Chefin sagt, sie habe das Büro gestern Nachmittag gegen siebzehn Uhr verlassen, um sich mit einem potenziellen Kunden zum Kaffee zu treffen.«
»Und du glaubst, das war Pell?«
O’Neil zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Die Chefin wusste den Namen des Kunden nicht. Womöglich hat Pell die beiden gesehen und verfolgt.«
»Was ist mit den nächsten Angehörigen?«
»Wie es aussieht, gibt es hier in der Nähe keine«, sagte der Deputy Coroner. »Ihre Eltern leben in Denver. Ich übernehme den Anruf, wenn ich wieder im Büro bin.«
»Todeszeitpunkt?«
»Gestern Abend, ungefähr zwischen neunzehn und einundzwanzig Uhr. Nach der Autopsie weiß ich mehr.«
Pell hatte kaum Spuren hinterlassen, lediglich ein paar schwache Abdrücke im Sand, die zum Strand zu führen schienen und sich in dem blassgrünen Gras verloren, das überall auf den Dünen wuchs. Ansonsten waren weder Reifen-noch Fußspuren sichtbar.
Was stand in den Akten, die er gestohlen hatte? Was sollte die Polizei nicht erfahren?
Kellogg ging ein wenig umher und verschaffte sich einen besseren Eindruck von dem Tatort, vielleicht unter Berücksichtigung seiner besonderen Kenntnisse über die Kultmentalität.
Dance erzählte O’Neil von Rebeccas Einfall, Pell könne auf einen »Hauptgewinn« aus sein, um sich davon unter Umständen irgendwo eine Enklave zu kaufen.
»Laut Linda hat er dafür den Begriff ›Berggipfel‹ benutzt. Und es kann ja sein, dass er seinen Hauptgewinn bereits durch den Einbruch bei den Croytons erzielt hat.« Sie schilderte ihm ihre Idee, Pell könne etwas aus Croytons Besitz in dem Fluchtwagen versteckt haben.
»Ich glaube, deswegen hat er Visual-Earth angeklickt. Um sich den betreffenden Ort anzusehen.«
»Interessante Theorie«, sagte O’Neil. Wenn er und
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