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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Dance an einem Fall arbeiteten, ließen sie ihren Gedanken oft freien Lauf. Hin und wieder entwarfen sie dabei wirklich bizarre Theorien über die Verbrechen, die sie untersuchten. Und manchmal erwiesen diese Theorien sich letztlich als zutreffend.
    Dance wies TJ an, den Status des Fahrzeugs zu überprüfen, das Pell am Abend der Croyton-Morde benutzt hatte – und ob man eine Bestandsaufnahme des Wageninhalts angefertigt hatte. »Und sieh nach, ob Pell irgendwo in Kalifornien über Grundbesitz verfügt.«
    »Mach ich, Boss.«
    Dance sah sich um. »Warum hat er den Lexus hier zurückgelassen? Er hätte ihn im Osten in den Wäldern verstecken können, wo er tagelang unentdeckt geblieben wäre. Hier ist der Wagen viel deutlicher zu sehen.«
    Michael O’Neil deutete auf einen schmalen Pier, der ins Meer ragte. »Der Thunderbird ist im Eimer. Den gestohlenen Ford Focus hat er inzwischen irgendwo stehen gelassen. Vielleicht ist er mit einem Boot geflohen.«
    »Mit einem Boot?«, fragte Dance.
    »Seine Fußspuren zeigen nur in diese Richtung. Zurück zur Straße führen keine.«
    Kellogg nickte, aber nur langsam, was bedeutete, dass er anderer Meinung war. »Es ist hier ein bisschen zu rau, um mit einem Boot anzulegen, meinen Sie nicht?«
    »Nicht für jemanden, der weiß, was er tut.«
    »Könnten Sie es?«
    »Ich? Na klar. Je nach Wind.«
    Winston Kellogg ließ den Blick über den Tatort schweifen. Es fing an, gleichmäßig zu regnen. Er schien es gar nicht zu merken. »Ich glaube, dass er aus irgendeinem Grund in diese Richtung gegangen ist, womöglich um uns in die Irre zu führen. Dann aber hat er kehrtgemacht und ist quer über die Dünen zur Straße zurückgekehrt, auf der irgendwo seine Komplizin gewartet hat.«
    Formulierungen wie »ich glaube« und »meiner Meinung nach« wurden von Dance als verbale Betäubungsmittel bezeichnet. Ihr Zweck bestand darin, einer kritischen oder gegensätzlichen Aussage des Sprechers die Schärfe zu nehmen. Kellogg als neues Teammitglied widersprach O’Neil nur ungern, war aber eindeutig der Ansicht, dass dieser sich hinsichtlich des Bootes irrte.
    »Warum glauben Sie das?«, fragte Dance.
    »Das alte Windrad.«
    Die Strandstraße zweigte an einer verlassenen Tankstelle vom Highway ab, auf deren Gelände ein hohes Gerüst mit einem großen Windrad stand.
    »Wie lange gibt es das schon?«
    »Vierzig, fünfzig Jahre, schätze ich«, sagte Kellogg. »Die Zapfsäulen haben nur je zwei Sichtfenster für die Preisanzeige – als hätte niemand geglaubt, das Benzin könne je mehr als neunundneunzig Cent kosten. Pell kennt die Gegend. Seine Komplizin stammt wahrscheinlich von außerhalb. Er hat diesen Ort ausgesucht, weil er einerseits abgelegen ist und andererseits über einen nicht zu verfehlenden Orientierungspunkt verfügt. ›Bei dem Windrad biegst du rechts ab.‹«
    O’Neil war nicht überzeugt. »Schon möglich. Aber falls das der einzige Grund war, stellt sich natürlich die Frage, weshalb er sich nicht einen Ort ausgesucht hat, der näher an der Stadt liegt. Es wäre einfacher, die Komplizin dorthin zu lotsen, und es gibt jede Menge einsame Flecke, die sich dafür angeboten hätten. Und bedenken Sie, der Lexus war gestohlen, und im Kofferraum lag eine Leiche. Die würde Pell doch bestimmt so schnell wie möglich loswerden wollen.«
    »Mag sein, klingt schlüssig«, räumte Kellogg ein. Er spähte mit verkniffener Miene in den Dunst. »Aber ich neige zu einer anderen Vermutung. Ich glaube, er hat sich nicht wegen des Stegs von diesem Ort angezogen gefühlt, sondern weil es eine abgelegene Stelle und zudem ein Strand ist. Er ist kein Ritualmörder, aber die meisten Kultführer haben einen Hang zur Mystik, und oft spielt dabei Wasser eine Rolle. Etwas ist hier geschehen, etwas beinahe Zeremonielles, würde ich sagen. Es könnte mit der Frau zu tun gehabt haben, die ihn begleitet. Vielleicht Sex nach der Tat. Oder irgendetwas anderes.«
    »Was?«
    »Das kann ich nicht sagen. Aber ich gehe davon aus, dass sie sich hier mit ihm getroffen hat, weil er etwas ganz Bestimmtes vorhatte.«
    »Es deutet aber nichts auf einen anderen Wagen hin«, betonte O’Neil. »Oder darauf, dass er sich umgedreht hätte und zur Straße zurückgekehrt wäre. Es müsste doch ein paar Spuren geben.«
    »Er könnte sie verwischt haben«, sagte Kellogg und wies auf ein Stück der sandbedeckten Straße. »Das da sieht nicht natürlich aus. Er könnte die Spuren mit einem Grasbüschel oder Ast weggefegt haben.

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