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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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erwirken, indem er die Jury glauben ließ, dass Jimmy Newberg der Täter und Pell auch nur ein Opfer war, das lediglich in Notwehr gehandelt hatte.
    Und Reynolds hatte gelacht, als wäre Pell ein Kind, das vor Erwachsenen Grimassen schnitt.
    Er hatte ihn Mansons Sohn genannt …
    Und ihn unter Kontrolle gehalten!
    Das war die unverzeihliche Sünde gewesen. Nicht die Anklage gegen Pell – nein, das hatten viele getan. Aber ihn zu kontrollieren . Ihn wie eine Marionette vorzuführen und auslachen zu lassen.
    Und nicht lange danach hatte der Sprecher der Jury das Urteil verkündet. Pell sah seinen kostbaren Berggipfel schwinden, seine Freiheit, seine Unabhängigkeit, die Familie. Alles weg. Sein ganzes Leben war durch ein Lachen zerstört worden.
    Und nun würde Reynolds – der für Pell eine ebenso ernste Bedrohung darstellte wie Kathryn Dance – untertauchen und weitaus schwieriger zu finden sein.
    Pell bebte vor Zorn.
    »Alles okay, Baby? Die siehst aufgebracht aus. Kannst du darüber reden?«
    Pell fühlte sich immer noch, als wäre er in einer anderen Dimension, aber er erzählte Jennie die Geschichte von Reynolds vor Gericht und der Gefahr, die dieser Mann bedeutete – eine Geschichte, die sonst niemand kannte.
    Und komischerweise schien Jennie sie gar nicht mal für so abwegig zu halten.
    »Das ist schrecklich. Meine Mutter hat mich auch immer vor anderen Leuten ausgelacht. Und sie hat mich geschlagen. Aber das Lachen war schlimmer. Viel schlimmer.«
    Ihr Mitgefühl ging ihm tatsächlich nahe.
    »He, Liebling... du bist heute Abend standhaft geblieben.«
    Sie lächelte und streckte die Fäuste aus – als würde sie die eintätowierten Buchstaben vorzeigen: H-O-L-D-F-A-S-T.
    »Ich bin stolz auf dich. Komm, lass uns reingehen.«
    Aber Jennie stieg nicht aus. Ihr Lächeln erstarb. »Mir geht da etwas nicht aus dem Kopf.«
    »Was denn?«
    »Woher hat er es gewusst?«
    »Wer?«
    »Der Mann vorhin, Reynolds.« Sie wandte sich ihm mit ernster Miene zu.
    »Ich schätze, er hat mich gesehen und wiedererkannt.«
    »Nein, das glaube ich nicht. Weißt du, es klang, als hätten die Sirenen sich genähert, bevor du an der Tür geklingelt hast.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    Kathryn ... Augen so grün, wie meine blau sind, kurze, rosa lackierte Fingernägel, ein rotes Gummiband um den Zopf, eine Perle am Finger und ein poliertes Schneckenhaus um den Hals. Löcher in den Ohrläppchen, aber keine Ohrringe.
    Er sah sie deutlich vor sich. Er konnte beinahe ihre Anwesenheit spüren. Der Ballon in seinem Innern blähte sich auf.
    »Tja, da gibt es diese Polizeibeamtin. Sie ist ein Problem.«
    »Erzähl mir von ihr.«
    Pell küsste sie und strich mit der Hand über ihre knochige Wirbelsäule, vorbei an dem Riemen des BH und hinunter in den Bund ihrer Hose, bis er die Spitzenunterwäsche spürte. »Nicht hier. Drinnen. Ich erzähle dir drinnen von ihr.«

... Siebenunddreißig

    »Allmählich reicht’s mir«, sagte Linda Whitfield und wies auf den Fernsehapparat, wo wie in einer Endlosschleife Berichte über Pell liefen.
    Samantha war der gleichen Meinung.
    Linda ging in die Küche und bereitete koffeinfreien Kaffee und Tee zu; dann brachte sie die Tassen samt Milch, Zucker und einigen Keksen ins Wohnzimmer. Rebecca nahm den Kaffee, stellte ihn aber hin und trank weiter ihren Wein.
    »Was du beim Essen gesagt hast, war schön«, sagte Sam.
    Linda hatte ein Tischgebet gesprochen, offenbar aus dem Stegreif, aber wohlartikuliert. Samantha war nicht religiös, aber Lindas Worte rührten sie, denn sie waren an die Seelen der Menschen gerichtet, die Daniel Pell ermordet hatte, und an ihre Familien. Dann dankte sie für die Gelegenheit, ihre Schwestern wiederzutreffen, und bat darum, es möge sich eine friedliche Lösung für diese traurige Situation finden. Sogar Rebecca – die stählerne Magnolie unter ihnen – hatte ergriffen gewirkt.
    Als Kind hatte Sam sich oft gewünscht, ihre Eltern würden mit ihr in die Kirche gehen. Sie war nicht an einer bestimmten Glaubensrichtung interessiert, aber viele ihrer Freunde gingen mit den jeweiligen Familien hin, und es schien sich um eine Sache zu handeln, die Eltern und eine Tochter gemeinsam erleben konnten. Andererseits hätte sie sich auch schon darüber gefreut, wenn die Eltern sie in einen Supermarkt mitgenommen oder mit ihr zum Flughafen gefahren wären, um den Starts und Landungen zuzusehen und dabei Hotdogs zu essen, die es bei einem Wagen in der Nähe des Zauns zu kaufen gab – wie

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