Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
zu verlassen, bis der Killer sich wieder in Gewahrsam befände. Seine Frau und sein Sohn würden sich den beiden anschließen. Er selbst hingegen weigerte sich zu fliehen. Der Staatsanwalt würde in der Gegend bleiben – wenngleich in einem Hotel und unter Polizeischutz -, bis er Gelegenheit gehabt hatte, die Akten des Mordfalls Croyton durchzugehen, die bald aus dem Archiv des Bezirksgerichts eintreffen mussten. Er war entschlossener denn je, ihnen bei der Ergreifung von Pell zu helfen.
    Die meisten der Beamten machten sich auf den Weg – zwei blieben, um Reynolds und seine Familie zu bewachen, und zwei hielten die Reporter zurück. Bald darauf standen Kellogg, O’Neil und Dance allein auf dem duftenden Rasen.
    »Ich fahre zurück ins Point Lobos Inn«, sagte Dance zu den beiden Männern. Dann fragte sie Kellogg: »Soll ich Sie bei der Zentrale absetzen, damit Sie Ihren Wagen holen können?«
    »Ich fahre mit Ihnen zu dem Hotel«, sagte Kellogg. »Wenn das in Ordnung geht.«
    »Klar.«
    »Meinen Wagen können wir später holen.«
    »Was ist mir dir, Michael? Willst du mitkommen?« Sie konnte sehen, dass Millars Tod immer noch schwer auf ihm lastete.
    Der Chief Deputy sah Kellogg und Dance an. Sie standen nebeneinander und wirkten wie Eheleute auf dem Rasen ihres Vorstadthauses, die nach einer Dinnerparty die Gäste verabschiedeten. »Ich glaube, ich muss passen. Ich werde eine Erklärung vor der Presse abgeben und dann Juans Familie einen Besuch abstatten.« Er atmete aus und sog die kühle Abendluft ein. »Es war ein langer Tag.«
     
    Er war erschöpft.
    Und sein runder Bauch enthielt so ziemlich eine ganze Flasche von Vallejo Springs’ köstlichem Merlot.
    Heute Abend würde Morton Nagle ganz bestimmt nicht mehr nach Hause fahren, mitten durch den dichten, aggressiven Verkehr von Contra Costa County und dann über die gleichermaßen beängstigenden Straßen rund um San Jose. Nachdem er den ganzen Tag Trübsal geblasen und sich in den Weinbergen herumgetrieben hatte, hatte er sich ein Motelzimmer genommen. Er wusch sich Hände und Gesicht, bestellte sich beim Zimmerservice ein Club-Sandwich und entkorkte den Wein.
    Während er auf das Essen wartete, telefonierte er mit seiner Frau und den Kindern. Dann rief er Kathryn Dance an.
    Sie erzählte ihm, dass Pell versucht hatte, den Staatsanwalt des Croyton-Prozesses zu töten.
    »Reynolds? Nein!«
    »Es geht ihm gut«, sagte Dance. »Aber Pell konnte entkommen.«
    »Glauben Sie, das war der Grund, warum er in der Gegend geblieben ist?«
    Dance verneinte und sagte, ihrer Meinung nach habe er Reynolds zum Auftakt seines wahren Plans ermorden wollen, weil er den Staatsanwalt fürchtete. Aber was dieser wahre Plan sein mochte, entziehe sich weiterhin ihrer Kenntnis.
    Dance klang müde und verzagt.
    Er selbst offenbar auch.
    »Morton, ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, fragte Dance.
    »Ich frage mich nur gerade, wie schlimm wohl morgen früh meine Kopfschmerzen ausfallen werden.«
    Sie lachte verbittert auf.
    Der Zimmerservice klopfte an der Tür. Nagle verabschiedete sich und legte auf.
    Dann aß er mit wenig Appetit und schaltete von einem Fernsehsender zum nächsten, ohne viel von dem wahrzunehmen, was über den Schirm flimmerte.
    Der beleibte Mann legte sich auf das Bett und streifte die Schuhe ab. Während er an seinem Plastikbecher voller Wein nippte, musste er an ein Farbfoto von Daniel Pell denken, das vor einigen Jahren in der Zeitschrift Time abgedruckt worden war. Der Kopf des Killers war ein Stück weggedreht, aber die unheimlichen blauen Augen starrten direkt in die Kamera. Sie schienen dem Betrachter überallhin zu folgen, und auch wenn man das Heft zuklappte, wurde man den Eindruck nicht los, dass Pell einem immer noch in die Seele blickte.
    Nagle war wütend, dass er es nicht geschafft hatte, das Einverständnis der Tante zu erhalten, und dass die Reise hierher reine Zeitverschwendung gewesen war.
    Aber dann rief er sich ins Gedächtnis, dass er wenigstens seinen journalistischen Prinzipien treu geblieben war und seine Quellen geschützt hatte – und damit das Mädchen. Er hatte sich nach Kräften bemüht, die Tante zu überzeugen, aber er hatte keine moralische Grenze überschritten und Kathryn Dance nicht verraten, wie der neue Name des Mädchens lautete und wo es sich aufhielt.
    Nein, begriff Nagle, er hatte in einer schwierigen Situation alles richtig gemacht.
    Er wurde schläfrig und stellte fest, dass er sich besser fühlte. Morgen würde er zu

Weitere Kostenlose Bücher