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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Ellie und Tim Schwimmer von nebenan es mit ihren Kindern gelegentlich machten.
    Samantha, ich würde ja wirklich gern mit dir hinfahren, aber du weißt, wie wichtig das Treffen ist. Es geht nicht nur um Walnut Creek, sondern ganz Contra Costa County könnte betroffen sein. Auch du solltest ruhig mal ein Opfer bringen. Die Welt dreht sich nicht immer nur um dich, mein Liebling ...
    Jetzt aber genug davon, rief Sam sich zur Ordnung.
    Das Gespräch während des Abendessens hatte sich um seichte Themen gedreht: Politik, das Wetter, was sie von Kathryn Dance hielten. Nun versuchte Rebecca, die eine Menge Wein getrunken hatte, Linda ein wenig auszuhorchen und herauszufinden, weshalb sie im Gefängnis so religiös geworden war. Aber Linda hatte anscheinend den Eindruck, genau wie Sam, dass die Fragen etwas Herausforderndes an sich hatten, und wich ihnen aus. Rebecca war schon immer die Selbstsicherste und Unverblümteste der drei gewesen.
    Allerdings schilderte Linda ihnen, wie ihr heutiger Alltag aussah. Sie leitete das Nachbarschaftszentrum der Kirche – wohl eine Art Suppenküche, folgerte Sam – und half bei der Betreuung der Pflegekinder ihres Bruders und ihrer Schwägerin. Aus dem Gespräch – ganz zu schweigen von ihrer ärmlichen Kleidung – ging hervor, dass Linda kaum Geld besaß. Dennoch behauptete sie, ein »reiches Leben« zu führen, im spirituellen Sinn des Begriffs, eine Floskel, die sie mehrmals wiederholte.
    »Und mit deinen Eltern sprichst du gar nicht?«, fragte Sam.
    »Nein«, sagte Linda leise. »Mein Bruder schon noch gelegentlich. Aber ich nicht.« Sam konnte sich nicht entscheiden, ob die Worte nun trotzig oder wehmütig klangen. (Sie wusste noch, dass Lindas Vater sich für irgendein Amt beworben hatte und unterlegen war – nachdem der Gegenkandidat Anzeigen geschaltet hatte, die besagten, falls Lyman Whitfield nicht mal in seiner Familie für Recht und Ordnung sorgen könne, wäre er wohl kaum ein guter Staatsdiener.)
    Linda fügte hinzu, sie gehe mit einem Mann aus der Gemeinde aus. »Nett«, war das Wort, mit dem sie ihn beschrieb. »Er arbeitet bei Macy’s.« Mehr erzählte sie nicht, und Samantha fragte sich, ob sie wirklich mit ihm ausging. Es musste für einen Mann ziemlich schwierig sein, seine Freundin vom Haus ihres Bruders abzuholen.
    Rebecca war sehr viel offener, was ihr Leben anging. Women’s Initiatives lief gut, mit vier Vollzeitangestellten, und sie besaß eine Eigentumswohnung mit Blick aufs Meer. Zum Thema Liebesleben beschrieb sie ihren aktuellen Freund, einen Landschaftsarchitekten, fast fünfzehn Jahre älter, aber gut aussehend und ziemlich wohlhabend. Rebecca hatte immer heiraten wollen, doch als sie nun von einer gemeinsamen Zukunft sprach, schien es noch Hindernisse zu geben. Sam vermutete, dass der Mann noch nicht geschieden war (falls er überhaupt schon die Papiere eingereicht hatte). Rebecca ließ durchblicken, es habe in letzter Zeit noch einige andere Liebhaber gegeben.
    Was Sam ein wenig neidisch machte. Nach der Haft hatte sie ihre Identität geändert und war nach San Francisco gezogen, wo sie in der Anonymität der Großstadt untertauchen wollte. Eine Zeit lang hatte sie alle gesellschaftlichen Kontakte gemieden, weil sie fürchtete, sie würde sich über ihre Herkunft verplappern oder jemand könnte sie trotz der kosmetischen Operation erkennen.
    Schließlich wurde die Einsamkeit zu stark, und Sam fing an, mit Männern auszugehen. Der dritte Rendezvouspartner, Ron Starkey, hatte in Stanford Elektrotechnik studiert. Er war lieb und schüchtern und ein bisschen unsicher – ein klassischer Technikfreak. Sams Vergangenheit interessierte ihn kaum; genau genommen schien ihm so ziemlich alles egal zu sein, außer Flug-und Navigationselektronik, Spielfilmen, Restaurants und inzwischen ihrem Sohn.
    Nicht gerade die Art von Persönlichkeit, die auf die meisten Frauen attraktiv wirkte, aber Samantha beschloss, dass Ron für sie der Richtige sei.
    Sechs Monate später waren sie verheiratet, und ein Jahr danach wurde Peter geboren. Sam war zufrieden. Ron war ein guter Vater, ein verlässlicher Mann. Sie wünschte nur, sie hätte ihn ein paar Jahre später getroffen, nachdem sie das Leben etwas mehr ausgekostet und im Anschluss an die Familie und das Gefängnis etwas umfangreichere Erfahrungen gesammelt hätte. Es kam ihr so vor, als habe die Bekanntschaft mit Daniel Pell ein gewaltiges Loch in ihr Leben gerissen, das sich nie wieder füllen ließ.
    Linda und Rebecca

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