Die Menschenleserin
er war perfekt …
Als sie das Zimmer verließ und die Mütze aufsetzte, hörte sie hinter sich den Fernseher knisternd zum Leben erwachen. Noch vor wenigen Tagen hätte sie sich nicht träumen lassen, dass es ihr nichts ausmachte, wenn Daniel andere Menschen verletzte, und dass sie ihr Haus in Anaheim aufgeben und die Kolibris und Kardinäle und Spatzen in ihrem Garten nie wiedersehen würde.
Nun aber kam ihr das alles vollkommen natürlich vor. Sogar wunderbar.
Ich tue alles für dich, Daniel. Alles.
...Zweiundvierzig
»Und woher hat er gewusst, dass Sie da waren?«, fragte Overby, der in Dances Büro stand. Der Mann war nervös. Immerhin hatte er nicht nur dafür gesorgt, dass das CBI die Fahndung übernahm, sondern sich auch energisch für die taktisch schlechte Entscheidung ausgesprochen, den Zugriff im Motel durchzuführen. Dance las das sowohl aus seiner Körpersprache als auch aus seiner Wortwahl ab; er sagte »Sie«, während Dance und O’Neil »wir« gesagt hätten.
Sündenböcke ...
»Er muss irgendeine Veränderung wahrgenommen haben. Vielleicht hat das Personal sich seltsam verhalten«, erwiderte Kellogg. »Wie in dem Restaurant in Moss Landing. Er hat den Instinkt einer Katze.«
Dance hatte zuvor wortwörtlich das Gleiche gedacht.
»Haben Ihre Leute ihn denn nicht drinnen gehört, Michael?«
»Ein Porno«, sagte Dance.
»Er hatte im Hotelkanal einen Porno eingeschaltet«, erklärte der Detective. »Unser Überwachungsmann hat den Fernseher gehört.«
Das Resultat des Einsatzes war entmutigend, wenn nicht sogar peinlich. Wie sich herausstellte, hatte der Geschäftsführer, ohne es zu wissen, dabei zugesehen, wie Pell und die Frau weggefahren waren – verkleidet als die zwei Angler aus dem Nachbarzimmer und vermeintlich auf Tintenfisch und Lachs in der Monterey Bay aus. Die beiden Männer, die man gefesselt und geknebelt aufgefunden hatte, gaben nur widerwillig Auskunft; Dance konnte ihnen schließlich entlocken, dass Pell sich ihre Adressen besorgt und gedroht hatte, ihre Familien zu töten, falls sie um Hilfe riefen.
Muster... gottverdammte Muster.
Winston Kellogg war zwar verärgert über die Flucht, sah aber keinen Grund für eine Entschuldigung. Er hatte nach bestem Wissen entschieden, so wie Dance bei Moss Landing. Der Plan hätte funktionieren können, aber das Schicksal hatte ihn vereitelt. Sie sah mit Respekt, dass Kellogg weder verbittert noch weinerlich auf das Ergebnis reagierte; er konzentrierte sich bereits auf die nächsten Schritte.
Overbys Assistentin kam hinzu und teilte ihrem Chef mit, dass soeben Sacramento für ihn angerufen habe und dass auf Leitung zwei Amy Grabe vom FBI auf ihn warte. Sie klang nicht glücklich.
Ein genervtes Murren. Der CBI-Chef drehte sich um und folgte ihr zurück in sein Büro.
Carraneo rief an und meldete, dass die Befragung, die er und mehrere andere Beamte derzeit durchführten, bisher nichts erbracht habe. Eine Putzfrau glaubte, sie habe vor dem Zugriff einen dunklen Wagen in den hinteren Teil des Parkplatzes fahren gesehen. Das Kennzeichen wusste sie nicht. Sonst hatte niemand etwas bemerkt.
Eine dunkle Limousine. Die gleiche nutzlose Beschreibung, die sie bei James Reynolds’ Haus erhalten hatten. Ein Deputy des MCSO kam mit einem großen Paket und gab es O’Neil. »Von der Spurensicherung, Sir.« Der Detective nahm Fotos und eine Liste der sichergestellten Beweise heraus. Es gab keinen Zweifel; die Fingerabdrücke belegten, dass es sich bei den beiden Mietern des Zimmers tatsächlich um Pell und dessen Komplizin gehandelt hatte. Kleidung, Nahrungsmittelverpackungen, Zeitungen, Körperpflegeartikel, etwas Kosmetik. Außerdem Wäscheklammern, ein zu einer Art Peitsche umgebauter Kleiderbügel mit Blutspritzern, eine Strumpfhose, die an den Bettpfosten gebunden worden war, Dutzende von Kondomen – neue und benutzte – sowie eine große Tube Gleitmittel.
»Das ist typisch für Kultführer«, sagte Kellogg. »Erinnern Sie sich noch an Jim Jones in Guayana? Er hatte täglich drei-oder viermal Sex.«
»Warum ist das typisch?«, fragte Dance.
»Weil sie es können . Sie können so ziemlich alles tun, was sie wollen.«
O’Neils Telefon klingelte. Er nahm das Gespräch entgegen und hörte eine Weile zu. »Gut. Schicken Sie es gleich an Agent Dance. Haben Sie ihre E-Mail-Adresse?... Danke.«
Er sah Dance an. »Die Spurensicherung hat in der Tasche einer Jeans der Frau eine ausgedruckte E-Mail gefunden.«
Einige Minuten später fand
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