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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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möchte es einfach. Und er wird nach Napa kommen und mich interviewen. Für sein Buch, Die Schlafpuppe . So wird es heißen. Ist das nicht irre, wenn ein Buch über einen geschrieben wird?«
    Mary Bolling sagte nichts dazu, wenngleich ihre Körpersprache – die leicht gehobenen Schultern, der vorgereckte Unterkiefer – Dance auf den ersten Blick verriet, dass sie nichts von dem abendlichen Ausflug hielt und dass es deswegen eine Auseinandersetzung gegeben hatte.
    Nach bedeutenden privaten Ereignissen – wie dem Familientreffen oder Theresas Reise hierher, um bei der Jagd auf den Mörder ihrer Angehörigen zu helfen – liegt die Vermutung nahe, die Beteiligten würden sich grundlegend ändern. Doch in Wahrheit geschah das nur selten, und Dance glaubte nicht, dass es hier der Fall war. Sie sah dieselben Leute vor sich, die es schon vor einer ganzen Weile gegeben hatte: eine fürsorgliche Frau mittleren Alters, etwas schroff, aber fest gewillt, sich der schwierigen Aufgabe zu stellen, eine Ersatzmutter zu sein, und eine typisch dickköpfige Halbwüchsige, die spontan etwas Mutiges getan hatte. Die beiden hatten sich über den weiteren Verlauf des Abends gestritten, und diesmal hatte das Mädchen sich durchsetzen können, zweifellos mit Zugeständnissen.
    Vielleicht aber war die Tatsache, dass es überhaupt einen Disput gegeben hatte, der zudem gelöst werden konnte, bereits ein Erfolg. So verändern Menschen sich nun mal: schrittweise, dachte Dance.
    Sie umarmte Theresa, gab ihrer Tante die Hand und wünschte ihnen eine gute Fahrt.
    Fünf Minuten später befand Dance sich wieder im MF der CBI-ZENTRALE und bekam von Maryellen Kresbach eine Tasse Kaffee und einen Haferkeks gereicht.
    Sie ging in ihr Büro, schleuderte die beschädigten Aldos von den Füßen und suchte im Schrank nach Ersatz: Joan&David-Sandalen. Dann streckte sie sich, nahm hinter dem Schreibtisch Platz, trank einen Schluck starken Kaffee und suchte in den Schubladen nach der angebrochenen Tüte M&Ms, die sie dort vor ein paar Tagen versteckt hatte. Sie aß sie schnell auf, streckte sich erneut und genoss es, die Fotos ihrer Kinder zu betrachten.
    Die Fotos ihres Mannes auch.
    Wie gern sie heute Nacht neben ihm im Bett gelegen und über den Fall Pell gesprochen hätte!
    Ach, Bill …
    Ihr Telefon zirpte.
    Beim Blick auf das Display vollführte ihr Magen einen kleinen erleichterten Hüpfer.
    »Hallo«, sagte sie zu Michael O’Neil.
    »He. Hab’s gerade gehört. Ist mit dir alles in Ordnung? Es soll einen Schusswechsel gegeben haben.«
    »Pell hat ein Mal in meine Richtung gefeuert. Das ist alles.« »Wie geht es Linda?«
    Dance schilderte ihm die Einzelheiten.
    »Und Rebecca?«
    »Liegt auf der Intensivstation. Sie wird es überleben. Aber sie muss noch eine ganze Weile im Krankenhaus bleiben.«
    Dann berichtete Michael ihr von dem vermeintlichen Fluchtwagen – Pells bevorzugtem Ablenkungsmanöver. Der Fahrer des Infiniti war von Pell gezwungen worden, den Notruf zu wählen und seine eigene Ermordung sowie den Diebstahl seines Fahrzeugs zu melden. Dann war er nach Hause gefahren, hatte den Wagen in der Garage geparkt und in einem dunklen Zimmer gesessen, bis er von Pells Tod hörte.
    O’Neil fügte hinzu, er werde ihr die Berichte der Spurensicherung vom Point Lobos Inn beziehungsweise State Park sowie vom Butterfly Inn schicken, in dem Pell und Jennie sich nach der Flucht aus dem Sea View Motel ein Zimmer genommen hatten.
    Sie hatte sich gefreut, seine Stimme zu hören. Aber irgendwas stimmte nicht. Sein Tonfall war immer noch zu sachlich. Er war nicht verärgert, aber auch nicht besonders begeistert darüber, mit ihr zu reden. Sie hielt seine früheren Bemerkungen über Winston Kellogg zwar für unangebracht, wünschte sich aber gar keine Entschuldigung, sondern nur, dass die Wogen zwischen ihnen beiden sich wieder glätten würden.
    »Ist bei dir alles klar?«, fragte sie. Manche Leute benötigten eine Aufforderung.
    »Ja«, sagte er.
    In diesem verfluchten Tonfall, der alles bedeuten konnte, von »wunderbar« bis »ich hasse dich«.
    Sie schlug vor, er könne später ja mal auf dem Deck vorbeischauen.
    »Geht nicht, tut mir leid. Anne und ich haben schon was vor.« Aha. Was vor .
    Auch das konnte alles und nichts bedeuten.
    »Ich muss los. Ich wollte dir bloß wegen des Infiniti-Fahrers Bescheid geben.«
    »Danke. Mach’s gut.«
    Klick ...
    Dance verzog das Gesicht, obwohl niemand sonst da war, und widmete sich einer Akte.
    Zehn Minuten

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