Die Menschenleserin
und für Pell von unten deutlich zu sehen sein – oder er würde sich für den Pfad entscheiden, um die scharfe Biegung kommen und ein perfektes Ziel abgeben.
Pell war sich absolut sicher, dass nur ein Beamter des Sondereinsatzkommandos die Felswand wählen würde und dass sein Verfolger garantiert keine Kletterausrüstung dabeihatte. Somit blieb nur der Strand. Er duckte sich hinter einige Felsen, sodass er weder von oben noch vom Ufer aus zu sehen war, stützte die Schusshand auf und wartete auf den Gegner.
Er würde nicht töten, sondern verwunden. Vielleicht ein Schuss ins Knie. Und dann, wenn der andere am Boden lag, würde Pell ihm mit dem Messer die Augen ausstechen. Das Funkgerät würde er neben dem Mann liegen lassen, damit der Cop halb wahnsinnig vor Schmerzen um Hilfe rufen, schreien und die anderen Beamten ablenken konnte. Pell könnte sich dann in eine entlegene Ecke des Parks absetzen.
Er hörte jemanden kommen; der andere versuchte, möglichst leise zu sein. Aber Pell hatte ein scharfes Gehör. Er legte den Finger um den Abzug.
Die Gefühle waren weg. Rebecca und Jennie und sogar die verhasste Kathryn Dance traten weit, weit in den Hintergrund zurück.
Daniel Pell hatte alles vollkommen unter Kontrolle.
Dance, die sich wieder einen anderen Platz auf dem Felsgrat gesucht hatte, schaute vorsichtig hinter den dicken Kiefern hervor.
Winston Kellogg war mittlerweile am Strand, ungefähr dort, wo Pell gewesen sein musste, als er auf sie geschossen hatte. Der Agent bewegte sich langsam vorwärts, sah sich nach allen Seiten um und hielt die Waffe mit beiden Händen. Er musterte eine Klippe und schien sich zu überlegen, ob er hinaufklettern sollte. Aber die Wände waren steil, und Kellogg trug Straßenschuhe, die sich kaum für den schlüpfrigen Fels eigneten. Außerdem hätte er beim Abstieg auf der anderen Seite zweifellos ein leichtes Ziel abgegeben.
Beim Blick auf den Pfad vor ihm bemerkte er nun offenbar Spuren im Sand, wo sie Pell zuletzt gesehen hatte. Er duckte sich und ging weiter. An einem Felsvorsprung blieb er stehen.
»Was geht da vor?«, fragte Samantha.
Dance schüttelte den Kopf.
Sie sah zu Linda. Die Frau war nur halb bei Bewusstsein und bleicher als zuvor. Sie hatte viel Blut verloren und benötigte dringend einen Krankenwagen.
Dance rief die Zentrale des MCSO an und erkundigte sich nach der Verstärkung.
»Das Sondereinsatzkommando ist in fünf Minuten da, die Boote in fünfzehn.«
Dance seufzte. Warum brauchte die Kavallerie bloß so verdammt lange? Sie beschrieb ihre ungefähre Position und erklärte, welchen Weg die Sanitäter nehmen sollten, um nicht in die Schusslinie zu geraten. Dann schaute sie wieder hinaus und sah, wie Winston Kellogg sich um den Felsen schob, der in der tiefstehenden Sonne burgunderfarben glänzte.
Der Agent steuerte genau den Punkt an, an dem Pell vor einigen Minuten außer Sicht verschwunden war.
Eine lange Minute verstrich. Zwei.
Wo war er? Was …
Der laute Knall einer Explosion.
Was, zum Teufel, war das?
Dann mehrere Schüsse von hinter dem Felsvorsprung, eine Pause und wieder einige Pistolenschüsse.
»Was ist passiert?«, fragte Samantha.
»Ich weiß es nicht.« Dance nahm ihr Funkgerät. »Win. Win! Sind Sie da? Kommen.«
Aber die einzigen Geräusche, die das Rauschen der Brandung übertönten, waren die gellenden Schreie der aufgeschreckt fliehenden Möwen.
...Sechsundfünfzig
Kathryn Dance eilte den Strand entlang, und die Aldos, die zu ihren Lieblingsschuhen gehörten, wurden vom Salzwasser ruiniert.
Es war ihr egal.
Hinter ihr, oben auf dem Grat, wurde Linda von Sanitätern zu dem Krankenwagen gebracht, der beim Point Lobos Inn geparkt war. Samantha begleitete sie. Dance nickte zwei MCSO-Beamten zu, die als Erste am Tatort eingetroffen waren und nun gelbes Absperrband von Felsen zu Felsen spannten, obwohl hier vermutlich nur die ansteigende Flut die Arbeit der Spurensicherung beeinträchtigen würde. Kathryn duckte sich darunter hindurch, bog um die Ecke und ging weiter zum Schauplatz der Schießerei.
Sie hielt inne. Dann lief sie direkt zu Winston Kellogg und umarmte ihn. Er sah ziemlich mitgenommen aus und starrte unverwandt auf das, was vor ihnen am Boden lag: der Leichnam von Daniel Pell.
Pell lag auf dem Rücken, die sandigen Knie in der Luft, die Arme zu beiden Seiten ausgebreitet. Seine Pistole lag in der Nähe, da, wohin sie aus seiner Hand geflogen war. Seine Augen waren halb geöffnet, aber im Tod nicht mehr
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