Die Menschenleserin
leuchtend blau, sondern verschleiert.
Dance ertappte sich dabei, dass ihre Hand immer noch auf Kelloggs Rücken lag. Sie nahm sie weg und wich ein Stück zur Seite. »Wie ist es abgelaufen?«, fragte sie.
»Ich bin ihm fast vor die Mündung gerannt. Er hatte sich da versteckt.« Er deutete auf einige Felsen. »Doch ich hab ihn gerade noch bemerkt und konnte in Deckung gehen. Vom Einsatz beim Motel hatte ich noch eine der Blendgranaten übrig. Ich habe sie in seine Richtung geworfen und ihn damit halb betäubt. Er fing an zu schießen. Aber ich hatte Glück. Die Sonne stand in meinem Rücken und hat ihn geblendet, schätze ich. Ich habe das Feuer erwidert und...« Er zuckte die Achseln.
»Alles in Ordnung?«
»Na klar. Ein paar Schrammen von den Felsen. Ich bin kein geübter Bergsteiger.«
Ihr Telefon klingelte. Sie warf einen Blick auf das Display und nahm das Gespräch an. Es war TJ.
»Linda wird’s überstehen. Sie hat Blut verloren, aber das Projektil hat nichts Wichtiges getroffen. Ach, und Samantha ist nicht ernstlich verletzt.«
»Samantha?« Dance waren bei ihr keine Verletzungen aufgefallen. »Was ist passiert?«
»Bloß einige Kratzer und blaue Flecke. Sie hat sich mit dem Verstorbenen einen Boxkampf geliefert, natürlich vor seinem Versterben. Ihr tut zwar alles weh, aber das vergeht schnell.«
Sie hatte mit Pell gekämpft?
Maus ...
Die Spurensicherung des MCSO traf ein und fing mit der Arbeit an. Michael O’Neil war nirgendwo zu sehen.
»He, Glückwunsch«, sagte einer der Techniker zu Kellogg und nickte in Richtung der Leiche.
Der FBI-Agent lächelte zurückhaltend.
Jeder Kinesik-Experte weiß, dass ein Lächeln das am schwierigsten zu definierende Signal des menschlichen Gesichts darstellt. Ein Stirnrunzeln, eine verblüffte Miene oder ein verliebter Blick bedeuten jeweils nur eines. Ein Lächeln hingegen kann für Hass, Gleichgültigkeit, Humor oder Liebe stehen.
Dance war sich nicht ganz sicher, was dieses Lächeln bedeutete. Aber ihr entging nicht, dass es sofort wieder verschwand, als Kelloggs Blick auf den Mann fiel, den er gerade getötet hatte.
Kathryn Dance und Samantha McCoy machten einen Abstecher zum Monterey Bay Hospital, um Linda Whitfield zu besuchen, die bei Bewusstsein und in guter Verfassung war. Sie würde die Nacht im Krankenhaus verbringen, aber die Ärzte sagten, sie könne schon am nächsten Tag entlassen werden.
Rey Carraneo brachte Samantha dann zurück zum Point Lobos Inn, wo sie übernachten wollte, anstatt gleich nach Hause zu fahren. Dance lud Samantha zum Abendessen ein, aber die Frau sagte, sie benötige etwas Zeit für sich allein.
Und wer hätte es ihr verdenken können?
Dance verließ das Krankenhaus und kehrte zum CBI zurück, wo sie Theresa Croyton Bolling und deren Tante bei ihrem Wagen stehen sah. Offenbar warteten die beiden auf Kathryns Rückkehr, um sich zu verabschieden. Theresas Antlitz hellte sich auf, als sie Dance entdeckte. Die beiden begrüßten einander herzlich.
»Wir haben es gehört«, sagte die Tante ernst. »Er ist tot?« Als könnte sie es sich nicht oft genug bestätigen lassen.
»Ja.«
Dance schilderte ihnen, was in dem Park vorgefallen war. Die Tante wirkte ungeduldig, aber Theresa wollte jede Einzelheit hören. Dance hielt nichts zurück.
Theresa nickte und nahm die Neuigkeiten ungerührt zur Kenntnis.
»Wir können Ihnen gar nicht genug danken«, sagte Dance. »Was Sie getan haben, hat Leben gerettet.«
Mit keiner Silbe erwähnte sie Theresas vorgetäuschte Krankheit vom Abend des Mordes an ihrer Familie. Dance nahm an, dass dies auf ewig ein Geheimnis zwischen ihr und dem Mädchen bleiben würde. Aber wieso auch nicht? Es mit einer einzigen Person zu teilen, war oft genauso befreiend wie es mit der ganzen Welt zu teilen.
»Fahren Sie jetzt zurück?«
»Ja«, sagte das Mädchen und warf seiner Tante einen Blick zu.
»Aber vorher legen wir noch einen Halt ein.«
Dance dachte: ein Abendessen im Fischrestaurant, ein Einkaufsbummel durch die hübschen Geschäfte von Los Gatos?
»Ich möchte das Haus sehen. Mein altes Haus.«
Wo ihre Eltern und ihre Geschwister gestorben waren.
»Wir treffen uns dort mit Mr. Nagle. Er hat mit der Familie gesprochen, die heute da wohnt. Die Leute waren einverstanden, mich zu empfangen.«
»Hat er das vorgeschlagen?« Dance war bereit, dem Mädchen Schützenhilfe zu leisten, und wusste, dass Nagle sofort nachgeben würde.
»Nein, es war meine Idee«, sagte Theresa. »Wissen Sie, ich
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