Die Menschenleserin
machen. Kaschier das... achte auf den Übergang. Gut.«
Obwohl ihre Mutter meistens nicht lange nett blieb. Der Umschwung kam jedes Mal ganz plötzlich.
Tja, es sah gut aus, bis du es verpfuscht hast. Ehrlich, was ist nur los mit dir? Fang noch mal von vorn an. Du siehst wie eine Hure aus.
Daniel Pell schlenderte den Bürgersteig entlang, der ein kleines Parkhaus mit einem Bürogebäude in Monterey verband.
Er hatte Billys Honda Civic früher als geplant zurücklassen müssen. Aus den Nachrichten wusste er, dass die Polizei den Worldwide-Express-Transporter gefunden hatte, und daraus ergab sich, dass man ihn wahrscheinlich in dem Civic vermuten würde. Anscheinend war er gerade noch rechtzeitig durch die Straßensperren geschlüpft.
Wie gefällt dir das , Kathryn?
Nun ging er mit gesenktem Kopf weiter. Er machte sich keine Sorgen, draußen herumzulaufen, noch nicht. Niemand würde hier mit ihm rechnen. Außerdem sah er anders aus. Er trug nicht nur Zivilkleidung, sondern war überdies glatt rasiert. Nachdem er Billys Wagen abgestellt hatte, war er auf die Rückseite eines Motels geschlichen, hatte den Abfall durchwühlt und war auf einen weggeworfenen Einwegrasierer und ein winziges Fläschchen der kostenlosen Körperlotion des Motels gestoßen. Dann hatte er sich neben den Müllcontainer gehockt und sich den Bart abrasiert.
Nun spürte er die Brise auf seinem Gesicht und roch etwas: Meer und Seetang. Zum ersten Mal seit Jahren. Im Gefängnis von Capitola bekam man nur die Luft zu riechen, die durch die Klimaanlage oder Heizungsschächte geschickt wurde.
Ein Streifenwagen fuhr an ihm vorbei.
Sei standhaft ...
Pell achtete darauf, sein Tempo zu halten, sich nicht umzuschauen und nicht von seiner Strecke abzuweichen. Eine Verhaltensänderung erweckt Aufmerksamkeit. Und das ist von Nachteil, denn es verleiht anderen Leuten Informationen über dich. Sie können folgern, warum du dein Verhalten geändert hast, und es dann gegen dich verwenden.
So wie es im Gerichtsgebäude passiert war.
Kathryn ...
Pell hatte den Ablauf des Verhörs im Voraus geplant: Falls er sich unauffällig verhielt, würde er von seinem Gegenüber etwas in Erfahrung bringen können, zum Beispiel, wie viele Wachleute es dort gab und wo sie sich aufhielten.
Doch dann hatte die Frau ihn zu seiner Verwunderung durchschaut.
Wo könnte man heutzutage einen Hammer von Ihnen finden? ... Kommen wir jetzt zu der Brieftasche. Woher könnte die stammen? ...
Also hatte er seinen Plan notgedrungen ändern müssen. Und zwar schnell. Er hatte sein Bestes gegeben, aber die Alarmsirene verriet ihm, dass die Frau ihm auf die Schliche gekommen war. Nur fünf Minuten früher und er hätte wieder im Gefangenentransporter nach Capitola gesessen. Sein Fluchtplan wäre hinfällig gewesen.
Kathryn Dance ...
Ein weiterer Streifenwagen fuhr schnell an ihm vorbei.
Es achtete noch immer niemand auf ihn, und Pell blieb auf Kurs. Aber er wusste, dass es Zeit wurde, Monterey zu verlassen. Er betrat das gut besuchte, nach oben offene Einkaufszentrum und sah die großen Kaufhäuser wie Macy’s und Mervyns und all die kleineren Läden, in denen es Süßigkeiten gab, Bücher (Pell liebte und verschlang sie – je mehr man wusste, desto mehr Kontrolle konnte man ausüben), Videospiele, Sportausstattung, billige Kleidung und noch billigeren Schmuck. Überall drängten sich Leute. Es war Juni; vielerorts hatten die Sommerferien begonnen.
Aus einem der Geschäfte kam eine junge Frau mit Umhängetasche. Sie sah wie eine Studentin aus, und unter ihrer Jacke trug sie ein enges rotes T-Shirt. Nur ein Blick darauf und in Pell regte sich etwas, wie eine Blase, die sich ausweitete. (Es war schon ein Jahr her, dass er einen Mitgefangenen eingeschüchtert und einen Wärter bestochen hatte, damit er beim nächsten Besuch der Ehefrau des Mannes einige Zeit allein mit ihr verbringen konnte. Ein langes, langes Jahr...)
Er starrte die junge Frau an und folgte ihr in nur wenigen Schritten Abstand. Er genoss den Anblick ihrer Haare und der engen Jeans, versuchte, ihren Geruch aufzufangen, und bemühte sich, ihr nahe genug zu kommen, um sie im Vorbeigehen zu streifen, was vor Gericht natürlich ebenso ein Sittlichkeitsvergehen wäre, als hätte er die Frau in eine Gasse gezerrt und mit gezücktem Messer zum Ausziehen gezwungen.
Vergewaltigung liegt im Auge des Betrachters …
Ach, aber dann bog sie in einen anderen Laden ab und verschwand aus seinem Leben.
Wie schade, meine
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