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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Liebe, dachte er.
    Für mich mehr als für dich, glaub mir.
    Auf dem Parkplatz sah Pell einen türkisfarbenen Ford Thunderbird. Darin konnte er undeutlich eine Frau erkennen, die sich das lange blonde Haar bürstete.
    Ah...
    Er kam ein Stück näher. Die Frau war ein kleines mageres Ding mit flachen Brüsten, und ihre Nase war alles andere als gerade. Aber das hielt den Ballon in seinem Innern nicht vom Aufblähen ab, zehnfach, hundertfach. Bald würde er platzen.
    Daniel Pell sah sich um. Es war niemand in der Nähe.
    Er ging zwischen den geparkten Wagen entlang, genau auf die Frau zu.
     
    Jennie Marston war mit dem Haar fertig.
    Diesen speziellen Teil ihres Körpers mochte sie sehr. Ihr Haar war glänzend und dicht, und wenn sie den Kopf drehte, floss es über ihre Schultern, wie bei den Frauen in den Shampoo-Werbespots, dort meistens in Zeitlupe. Sie stellte den Rückspiegel des Thunderbird wieder in die ursprüngliche Position. Schaltete das Radio aus. Berührte ihre Nase, den Höcker.
    Hör auf!
    Als sie die Tür öffnen wollte, ging diese von allein auf. Jennie erschrak.
    Sie blickte zu dem drahtigen Mann auf, der sich zu ihr herunterbeugte.
    Einen Moment lang bewegte sich keiner von ihnen. Dann zog er die Tür ganz auf. »Du bist ein entzückender Anblick, Jennie Marston«, sagte er. »Viel hübscher, als ich zu hoffen gewagt habe.«
    »Oh, Daniel.« Etwas anderes bekam Jennie Marston nicht über die Lippen. Sie war völlig von ihren Gefühlen überwältigt – Angst, Erleichterung, Schuld, ein großes, heiß brennendes Durcheinander. Atemlos stieg sie aus dem Wagen und flog ihrem Freund in die Arme. Zitternd hielt sie ihn so fest umklammert, dass sich seiner schmächtigen Brust ein leises, gleichmäßiges Zischen entrang.

... Zehn

    Sie stiegen in den Thunderbird, und Jennie legte ihren Kopf auf Daniels Schulter, während dieser sorgfältig den Parkplatz und die nahe Straße in Augenschein nahm.
    Jennie musste daran denken, wie schwierig der letzte Monat gewesen war. Sie hatten nur durch E-Mails, seltene Telefonate und ihre Vorstellungskraft eine Beziehung aufgebaut, dabei einander aber nie persönlich zu Gesicht bekommen.
    Dennoch war Jennie überzeugt, dass es viel besser sei, Liebe auf diese Weise wachsen zu lassen – aus der Entfernung. Wie bei den Frauen an der Heimatfront während eines Krieges; zum Beispiel wenn ihre Mutter von dem Vater in Vietnam erzählte. Das war natürlich alles gelogen gewesen, hatte sie später erfahren, aber es änderte nichts an der Wahrheit: dass Liebe sich zunächst um zwei Seelen und erst später um Sex drehen sollte. Was sie für Daniel Pell empfand, war eine vollkommen neue Erfahrung für sie.
    Stimulierend.
    Auch beängstigend.
    Sie merkte, dass ihre Augen feucht wurden. Nein, nein, aufhören. Nicht weinen. Er hätte bestimmt etwas dagegen. Männer können es nicht ausstehen, wenn Frauen weinen.
    Aber er fragte sanft: »Was ist denn, mein Liebling?«
    »Ich bin einfach so glücklich.«
    »Na los, sag schon.«
    Tja, er klang gar nicht verärgert. Sie überlegte kurz. »Weißt du, ich hab mich was gefragt«, sagte sie dann. »Da waren ein paar Frauen. In dem Feinkostladen. Dann habe ich das Radio eingeschaltet. In den Nachrichten hieß es... dass jemand schlimme Verbrennungen erlitten hat. Ein Polizist. Und zwei andere Leute wurden erstochen.« Daniel hatte behauptet, er wolle die Aufseher mit dem Messer lediglich einschüchtern. Es sollte niemand zu Schaden kommen.
    »Was?«, rief er. Seine blauen Augen wurden kalt.
    Nein, nein, was tust du da?, fragte Jennie sich. Du hast ihn wütend gemacht! Warum musstest du bloß etwas sagen? Jetzt hast du alles versaut! Ihr Herz klopfte wie wild, und sie wollte in Tränen ausbrechen.
    »Die haben es schon wieder gemacht. Das machen die immer! Als ich weggelaufen bin, war niemand verletzt. Ich war ganz vorsichtig! Ich bin durch die Stahltür nach draußen, genau wie wir geplant hatten, und habe sie hinter mir ins Schloss geworfen...« Dann nickte er. »Ach, ich weiß. Na klar. In der Zelle neben meiner waren andere Gefangene. Die wollten, dass ich sie rauslasse, aber ich habe mich geweigert. Ich wette, die haben vor Wut getobt, und als die Wärter kamen, um für Ruhe zu sorgen, wurden zwei von ihnen getötet. Die Häftlinge hatten improvisierte Messer.
    So muss es gewesen sein. Und falls jemand sich verbrannt hat, dann weil er unachtsam war. Ich habe mich gründlich umgeschaut – da war niemand, als ich durch das Feuer gelaufen

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