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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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enge Jeans, eine hellrosa Bluse und darunter rote Unterwäsche von Victoria’s Secret. Genau wie den Kaffee konnte sie sich die Dessous eigentlich nicht leisten. Aber manchen Luxus musste man sich einfach gönnen. (Außerdem, dachte Jennie, ist die Wäsche in gewisser Weise ein Geschenk für meinen Freund.)
    Was sie an ihre anderen Schwächen erinnerte. Sie rieb sich den kleinen Höcker auf ihrem Nasenrücken.
    Hör auf damit, ermahnte sie sich.
    Aber sie hörte nicht auf, sondern rieb schnell noch zweimal darüber.
    Engelsgesänge ...
    Warum konnte sie ihn nicht ein Jahr später kennenlernen? Bis dahin würde sie die kosmetischen Eingriffe hinter sich gebracht haben und schön sein. Zumindest die Nase und die Brüste ließen sich richten. Sie wünschte nur, man hätte auch die spitzen Schultern und die schmalen Hüften korrigieren können, aber das lag jenseits der Möglichkeiten des talentierten Dr. Ginsberg.
    Dünn, dünn, dünn... Und was du alles isst! Zweimal so viel wie ich, aber sieh mich an. Gott hat mir eine Tochter wie dich gegeben, um mich zu prüfen.
    Jennie beobachtete die Frauen, die mit ernsten Gesichtern ihre Einkaufswagen zu den Familienautos schoben. Ob die ihre Männer lieben?, grübelte sie. Mit Sicherheit nicht so sehr wie Jennie ihren Freund. Die Frauen taten ihr leid.
    Jennie trank aus und ging in den Laden, bewunderte die riesigen Ananas, die Kästen voller Getreide, die lustig geformten Salatköpfe und die perfekt aufgereihten Steaks und Koteletts. Am längsten blieb sie vor den Konditorwaren stehen. Sie wollte nichts kaufen – es war viel zu teuer. Sie war einfach nur zu aufgeregt, um stillsitzen zu können.
    So hätte ich dich nennen sollen. Zappeljennie. Verdammt noch mal, setz dich hin.
    Sie musterte die Lebensmittel, das aufgereihte Fleisch.
    Die Frauen mit den langweiligen Ehemännern.
    Sie fragte sich, ob sie ihren Freund nur deshalb so sehr liebte, weil das Gefühl noch so neu war. Würde es nach einer Weile verblassen? Immerhin waren sie beide schon älter; das hier war nicht die unüberlegte Leidenschaft von Teenagern. Sie waren reife Erwachsene. Und am wichtigsten war ihre Seelenverwandtschaft, die nur höchst selten vorkam. Jeder von ihnen wusste genau, was der andere fühlte.
    »Deine Lieblingsfarbe ist Grün«, hatte er ihr schon beim ersten Gespräch mitgeteilt. »Ich wette, du schläfst unter einer grünen Steppdecke. Das gibt dir nachts Trost.«
    O mein Gott, er hatte ja so recht. Es war zwar keine Steppdecke, sondern ein Federbett, aber es war grün wie Gras. Welcher Mann hatte ein solches Einfühlungsvermögen?
    Auf einmal schnappte sie ein paar Gesprächsfetzen auf. Zwei der gelangweilten Hausfrauen in ihrer Nähe waren im Augenblick nicht ganz so gelangweilt.
    »Jemand wurde getötet. In Salinas. Es ist eben erst passiert.«
    Salinas?, dachte Jennie.
    »Ach, bei diesem Gefängnisausbruch oder was das war? Ja, ich hab’s auch gerade gehört.«
    »David Pell, nein, Daniel. So heißt er.«
    »Ist er nicht der Sohn von Charles Manson oder so?«
    »Keine Ahnung. Aber angeblich sind mehrere Leute ums Leben gekommen.«
    »Er ist nicht Mansons Sohn. Nein, er hat sich bloß so genannt.«
    »Wer ist Charles Manson?«
    »Machst du Witze? Erinnerst du dich an Sharon Tate?«
    »An wen?«
    »Wann bist du denn geboren?«
    Jennie ging zu den Frauen. »Verzeihung, worüber unterhalten Sie sich? Ist jemand von irgendwo geflohen?«
    »Ja, aus diesem Gefängnis in Salinas«, antwortete eine der kurzhaarigen Hausfrauen. »Haben Sie noch nichts davon gehört?« Sie starrte Jennies Nase an.
    Es war ihr egal. »Und es gab Tote?«
    »Die Aufseher – und dann wurde jemand entführt und ermordet, glaube ich.«
    Mehr schienen die Frauen nicht zu wissen.
    Mit feuchten Händen und klopfendem Herzen drehte Jennie sich um und ging weg. Sie überprüfte ihr Telefon. Ihr Freund hatte vor einiger Zeit angerufen und sich dann nicht mehr gemeldet. Keine Nachrichten. Sie wählte seine Nummer. Nichts.
    Jennie kehrte zu dem türkisfarbenen Thunderbird zurück. Sie stellte im Radio den Nachrichtensender ein und drehte den Rückspiegel in ihre Richtung. Dann nahm sie Make-up und Haarbürste aus der Handtasche.
    Es sind mehrere Leute ums Leben gekommen ...
    Mach dir keine Sorgen, beruhigte sie sich. Sie schminkte sich und dachte dabei an die Ratschläge ihrer Mutter. Das gehörte zu den netten Dingen, die diese Frau für sie getan hatte. »Hier aufhellen, da abdunkeln. Wir müssen etwas mit deiner Nase

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