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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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beenden würde, hielt aber immer noch die volle Wahrheit zurück, um möglichst der Bestrafung zu entgehen. Dance wusste, dass sie den Frontalangriff aufgeben und Waters nun einen Weg aufzeigen musste, das Gesicht zu wahren.
    Bei einem Verhör hat man nicht den Lügner als Gegner, sondern die Lüge.
    »Okay«, sagte Dance freundlich und lehnte sich zurück, heraus aus seinem persönlichen Proximalbereich. »Es ist also möglich, dass Pell irgendwann einmal Zugang zu einem Computer gehabt haben könnte?«
    »Ich schätze, es könnte passiert sein. Aber ich weiß es nicht mit Sicherheit.« Sein Kopf senkte sich noch ein Stück. Seine Stimme war sanft. »Es ist nur... unser Job ist schwierig. Die Leute verstehen nicht, wie es ist, ein Gefängniswärter zu sein.«
    »Das glaube ich gern«, pflichtete Dance ihm bei.
    »Wir müssen Lehrer sein, Polizisten, alles. Und« – seine Stimme nahm einen verschwörerischen Tonfall an – »ständig schaut die Verwaltung uns über die Schulter und sagt uns, wir sollen dies tun und das tun, für Ruhe sorgen und Bescheid geben, wenn etwas in der Luft liegt.«
    »Als wäre man ein Elternteil. Man behält seine Kinder immer im Auge.«
    »Ja, genau. Es ist, als hätte man Kinder.« Seine Augen wurden groß – ein Ausdruck von Zuneigung.
    Dance nickte nachdrücklich. »Die Häftlinge liegen Ihnen eindeutig am Herzen, Tony. Und Sie bemühen sich, gute Arbeit zu leisten.«
    In der Phase des Aushandelns wollen die Leute Zuspruch und Vergebung.
    »Was passiert ist, war kaum von Bedeutung.«
    »Erzählen Sie.«
    »Ich habe eine Entscheidung getroffen.«
    »Sie haben einen harten Job. Bestimmt müssen Sie jeden Tag schwierige Entscheidungen treffen.«
    »Ha! Jede Stunde .«
    »Und worum ging es in diesem Fall?«
    »Okay. Wissen Sie, Daniel war anders.«
    Dance entging nicht, dass er den Vornamen benutzte. Pell hatte Waters dazu gebracht, ihn als Kameraden zu betrachten, und dann die falsche Freundschaft ausgenutzt. »Wie meinen Sie das?«
    »Er hat diese... ich weiß auch nicht, Macht oder so über andere Leute. Die Weißen, die Schwarzen, die Latinos... er geht überall hin, und niemand rührt ihn an. Einen Insassen wie ihn habe ich noch nie erlebt. Die Leute machen für ihn, was er will. Und sie erzählen ihm Dinge.«
    »Und er hat die Informationen an Sie weitergereicht. Ist es das?«
    » Gute Informationen. Sachen, die man auf keine andere Weise erfahren hätte. Es gab zum Beispiel einen Wärter, der Meth verkauft hat. Ein Häftling ist an einer Überdosis gestorben. Wir hätten die Quelle niemals gefunden. Aber Pell hat sie mir mitgeteilt.«
    »Und damit Leben gerettet, möchte ich wetten.«
    »O ja, Ma’am. Und falls jemand es auf einen anderen abgesehen hatte und ihn abstechen wollte oder so, hat Daniel mich vorgewarnt.«
    Dance zuckte die Achseln. »Also haben Sie ihm einen Gefallen getan. Sie haben ihn in das Büro gelassen.«
    »Ja. Der Fernseher im Büro hatte Kabelanschluss, und manchmal wollte Daniel ein Spiel sehen, das niemanden sonst interessiert hat. Das ist auch schon alles. Es bestand keine Gefahr oder so. Das Büro liegt mitten in einem Hochsicherheitstrakt. Er hätte auf keinen Fall von dort fliehen können. Ich habe meine Runden gedreht, und er hat sich seine Spiele angeschaut.«
    »Wie oft?«
    »Drei-oder viermal.«
    »Also hätte er online gehen können?«
    »Kann sein.«
    »Wann zuletzt?«
    »Gestern.«
    »Okay, Tony. Und jetzt erzählen Sie mir von den Telefonen.« Dance erinnerte sich daran, eine Stressreaktion wahrgenommen zu haben, als er erzählt hatte, Pell habe lediglich mit seiner Tante telefoniert; Waters hatte seine Lippen berührt, eine Abwehrgeste.
    Sobald ein Verdächtiger eine Straftat gesteht, ist es oftmals einfacher, ihm noch weitere Geständnisse abzuringen.
    »Da war noch etwas mit Pell, das kann Ihnen jeder bestätigen«, sagte Waters. »Er war mächtig versessen auf Sex. Er wollte diese Telefonsexnummern anrufen, und ich habe ihn gelassen.«
    Doch Dance registrierte sofort sein abweichendes Verhalten und folgerte, dass er zwar etwas gestand, aber nur ein minderes Vergehen. Was meistens bedeutet, dass es im Verborgenen noch eine größere Straftat gibt.
    »Hat er angerufen?«, fragte sie geradeheraus und beugte sich wieder vor. »Und wie hat er bezahlt? Mit einer Kreditkarte? War es eine Neunhunderter-Nummer?«
    Eine Pause. Waters hatte keine Lüge parat; er hatte nicht bedacht, dass man für Telefonsex bezahlen muss. »Ich meine nicht, dass er

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