Die Menschenleserin
woher Sie kommen, voll und ganz. Falls Sie möchten, können Sie mir gern zurückschreiben.
Mit herzlichen Grüßen
Jennie Marston
Sie war natürlich nicht die Einzige. Daniel Pell erhielt viel Post. Manche Leute lobten ihn dafür, einen Kapitalisten getötet zu haben, andere verdammten ihn für die Ermordung einer Familie, manche boten Rat an, andere suchten ihn. Und es gab jede Menge romantische Annäherungsversuche. Die meisten dieser Damen – und Herren – kamen nach einigen Wochen zur Vernunft und stellten ihre Bemühungen ein. Aber Jennie war hartnäckig geblieben und ihre Briefe wurden immer leidenschaftlicher.
Mein liebster Daniel, ich bin heute in die Wüste gefahren, raus in die Nähe des Palomar-Observatoriums, wo es dieses große Teleskop gibt. Der Himmel war so groß, der Abend dämmerte, und die ersten Sterne wurden sichtbar. Ich musste die ganze Zeit an dich denken. Daran, wie du gesagt hast, dass niemand dich versteht und dass man dir schlimme Dinge vorwirft, die du gar nicht getan hast, und wie schwer das sein muss. Diese Leute können nicht in dich hineinsehen, sie erkennen die Wahrheit nicht. Nicht so wie ich. Du bist zu bescheiden, um es selbst zu sagen, aber diese Leute sehen nicht, was für ein perfekter Mensch du bist.
Ich habe den Wagen angehalten und konnte nicht anders; ich habe mich überall berührt, du weißt schon wieso (ganz bestimmt sogar, du ungezogener Junge!). Wir haben uns dort draußen geliebt, du und ich, und die Sterne beobachtet. Ich sage »wir«, weil du im Geiste bei mir warst. Ich würde alles für dich tun, Daniel ...
Es waren Briefe wie dieser gewesen – in denen Jennies völliger Mangel an Selbstbeherrschung und ihre außergewöhnliche Leichtgläubigkeit zum Ausdruck kamen -, die Pell dazu bewogen hatten, sich für die Flucht ihrer Hilfe zu bedienen.
»Du bist doch immer sehr vorsichtig gewesen, oder?«, fragte er nun. »Der Thunderbird lässt sich nicht zurückverfolgen?«
»Nein. Ich habe ihn vor einem Restaurant gestohlen. Vor ein paar Jahren bin ich mit einem Kerl ausgegangen. Ich meine, ich habe nicht mit ihm geschlafen oder so.« Der letzte Satz kam ein wenig zu schnell über ihre Lippen, und Pell vermutete, dass die beiden es regelmäßig wie die Karnickel miteinander getrieben hatten. Nicht, dass es ihn gekümmert hätte. »Er hat da gearbeitet«, fuhr sie fort, »und immer wenn ich ihn besuchen kam, ist mir aufgefallen, dass niemand auf den Schlüsselkasten des Parkplatzes geachtet hat. Letzten Freitag bin ich also mit dem Bus dorthin gefahren und habe auf der anderen Straßenseite gewartet. Als die Angestellten beschäftigt waren, habe ich mir den Schlüssel geholt. Den Thunderbird habe ich genommen, weil das Pärchen gerade erst in das Restaurant gegangen war und eine Weile dort bleiben würde. Nach höchstens zehn Minuten war ich auf dem Eins Null Eins.«
»Bist du die ganze Strecke in einem Stück gefahren?«
»Nein, ich habe in San Luis Obispo übernachtet – aber ich habe bar bezahlt, genau wie du gesagt hast.«
»Und die E-Mails hast du alle verbrannt, bevor du aufgebrochen bist?«
»Genau.«
»Gut. Hast du die Straßenkarten?«
»Ja, hab ich.« Sie klopfte auf ihre Handtasche.
Er musterte ihren Körper. Die kleine Rundung ihrer Brust, die dünnen Beine und den Hintern. Das lange blonde Haar. Frauen geben dir von Anfang an zu verstehen, was du dir herausnehmen darfst, und Pell wusste, dass er sie jederzeit und überall anfassen konnte. Er legte ihr die Hand auf den Nacken; so dünn und zerbrechlich. Sie gab ein Geräusch von sich, das wie ein Schnurren klang.
Der Ballon in seinem Innern wuchs an.
Das Schnurren auch.
Er hielt sich so lange wie möglich zurück.
Aber der Druck war stärker.
»Fahr da lang, Baby.« Er wies auf einen Feldweg, der zwischen einigen Eichen hindurchführte. Es schien sich um die Zufahrt zu einem verlassenen Farmhaus inmitten eines überwucherten Feldes zu handeln.
Jennie trat auf die Bremse und bog ab. Pell sah sich um. Es war keine Menschenseele zu entdecken.
»Hier?«
»Hier ist gut.«
Seine Hand glitt von ihrem Hals auf die Vorderseite ihrer rosafarbenen Bluse. Sie sah neu aus. Jennie hatte sie extra für ihn gekauft.
Pell hob ihr Gesicht an und drückte seine Lippen sanft auf ihre, ohne den Mund zu öffnen. Er küsste sie zärtlich und wich dann zurück, damit sie zu ihm kam. Je mehr er sie lockte, desto hektischer wurde sie.
»Ich will dich in mir«, flüsterte sie und griff auf die Rückbank, wo
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