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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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»Seitdem habe ich ihn weder gesehen noch von ihm gehört. Gott sei Dank.«
    Sie hatte ihm soeben von ihrem Ehemann erzählt – Buchhalter, Geschäftsmann und, man glaubte es kaum, ein totaler Versager -, der sie so sehr verprügelt hatte, dass sie ins Krankenhaus musste, zweimal mit inneren Verletzungen, einmal mit gebrochenem Arm. Er schrie sie an, wenn sie die Bettlaken nicht bügelte, wenn sie nach einem Monat ohne Pille immer noch nicht schwanger war, wenn die Lakers ein Spiel verloren hatten. Er sagte zu ihr, ihre Titten seien wie die eines Jungen, weshalb er keinen hochbekäme. Er sagte zu ihr vor seinen Freunden, dass sie »halbwegs passabel« aussehen würde, falls sie ihre Nase korrigieren ließe.
    Ein belangloser kleiner Mann, kontrolliert von allem, nur nicht von sich selbst, dachte Pell.
    Dann bekam er die nächsten Episoden der Seifenoper zu hören: Jennies Freunde nach der Scheidung. Sie schienen ihm zu ähneln, böse Jungs. Aber nur Pell light, dachte er. Einer war ein unbedeutender Dieb aus Laguna, das zwischen Los Angeles und San Diego lag. Er drehte nur kleine Dinger. Einer verkaufte Drogen. Einer war ein Biker. Einer war bloß ein Scheißkerl.
    Pell hatte eine Reihe von Therapiesitzungen hinter sich. Das meiste davon war sinnlos gewesen, aber bisweilen konnte einer der Psychologen mit nützlichen Einblicken aufwarten, die Pell sich merkte (natürlich nicht für seine eigene geistige Gesundheit, sondern weil sie sich sehr zweckmäßig als Waffen gegen andere Leute einsetzen ließen).
    Warum also fuhr Jennie auf böse Jungs ab? Für Pell lag das auf der Hand. Sie waren wie ihre Mutter; sie warf sich ihnen an den Hals, weil sie unterbewusst hoffte, die Männer würden sich ändern und sie lieben, anstatt sie zu ignorieren oder auszunutzen.
    Gut zu wissen, dachte Pell, aber er hätte ihr gleich sagen können: Übrigens, Baby, vergiss es. Wir ändern uns nicht. Wir ändern uns auf gar keinen Fall. Schreib es dir hinter die Ohren.
    Selbstverständlich behielt er diese Weisheit für sich.
    Sie hörte auf zu essen. »Schatz?«
    »Ja?«
    »Kann ich dich etwas fragen?«
    »Sicher, mein Liebling.«
    »Du hast nie etwas von diesen, du weißt schon, Mädchen erzählt, mit denen du gelebt hast. Als du verhaftet wurdest. Die Familie.«
    »Da hast du wohl recht.«
    »Bist du mit ihnen in Verbindung geblieben oder so? Wie hießen sie?«
    »Samantha, Rebecca und Linda«, zählte er auf. »Außerdem Jimmy, der Kerl, der versucht hat, mich umzubringen.«
    Sie sah ihn an. »Wäre es dir lieber, ich würde nicht nach ihnen fragen?«
    »Nein, ist schon in Ordnung. Du kannst mich alles fragen.«
    Verbiete niemals jemandem, über ein bestimmtes Thema zu sprechen. Lächle einfach und sauge so viele Informationen wie möglich in dich auf.
    »Haben die Frauen dich verraten?«
    »Nicht wirklich. Sie wussten nicht mal, dass Jimmy und ich zu den Croytons wollten. Aber sie haben mich nach der Festnahme nicht unterstützt. Linda hat ein paar Beweise verbrannt und die Polizei angelogen. Aber sogar sie ist am Ende eingeknickt und hat ihnen geholfen.« Er lachte verbittert auf. »Und dabei habe ich so viel für sie getan. Ich habe ihnen ein Zuhause gegeben. Ihren Eltern waren sie völlig egal. Ich habe ihnen eine Familie gegeben.«
    »Bist du jetzt böse? Ich wollte dich nicht aufregen.«
    »Nein.« Pell lächelte. »Es ist okay, Liebling.«
    »Denkst du oft an sie?«
    Ah, also darum geht es. Pell hatte sein ganzes Leben lang daran gearbeitet, zwischen den Zeilen zu lesen. Er begriff, dass Jennie eifersüchtig war. Es war ein einfältiges Gefühl, das sich für ihn leicht in den Griff bekommen ließ, aber es war auch eine der zentralen Kräfte des Universums.
    »Nein. Ich habe schon seit Jahren nichts mehr von ihnen gehört. Eine Zeit lang habe ich ihnen geschrieben. Linda war die Einzige, die geantwortet hat. Aber dann schrieb sie, ihr Anwalt habe sie gewarnt, es könne sich nachteilig auf ihre Bewährung auswirken, und hörte auf. Das hat mir ziemlich wehgetan, muss ich sagen.«
    »Das tut mir leid, Schatz.«
    »Soviel ich weiß, sind sie tot oder vielleicht auch glücklich verheiratet. Anfangs war ich wütend, aber dann wurde mir klar, dass ich mich in ihnen getäuscht hatte. Ich hatte die falschen Leute ausgewählt. Nicht so wie bei dir. Du bist gut für mich; die anderen waren das nicht.«
    Sie hob seine Hand an ihren Mund und küsste seine Knöchel einen nach dem anderen.
    Pell betrachtete erneut die Karte. Er liebte

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