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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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seinem Büro hinter einem Schreibtisch voller Akten. »Hallo, Kathryn. Also, unser Freund … Hat er sich auf die Brust geschlagen und mea culpa gerufen?«
    »Nicht ganz.« Dance setzte sich und warf einen verstohlenen Blick in die Kaffeetasse, die sie vor fünfundvierzig Minuten auf dem Tisch zurückgelassen hatte. An der Oberfläche trieb geronnener Kaffeeweißer. »Ich würde sagen, das war, äh, eines der erfolglosesten Verhöre aller Zeiten.«
    »Du siehst mitgenommen aus, Boss«, sagte ein kleiner, drahtiger junger Mann mit Sommersprossen und lockigem rotem Haar, der Jeans, T-Shirt und ein kariertes Sakko trug. Für einen Ermittlungsbeamten des CBI – der konservativsten Strafverfolgungsbehörde von ganz Kalifornien – war TJs Kleidung ziemlich unkonventionell, aber das traf auch auf den Rest seiner Person zu. TJ Scanlon war um die dreißig und Single und wohnte in den Hügeln von Carmel Valley. Sein baufälliges Haus hätte als Diorama des kalifornischen Lebens der sechziger Jahre in ein Museum für Gegenkultur gepasst. Entgegen der üblichen Gepflogenheiten des CBI arbeitete TJ meistens allein, vornehmlich im Bereich Überwachung und verdeckte Ermittlung. Aber da Dances eigentlicher Partner in Mexiko war und auf die Auslieferung eines Gefangenen wartete, hatte TJ sich sofort auf die Gelegenheit gestürzt, Mansons Sohn zu Gesicht zu bekommen.
    »Nicht mitgenommen. Bloß neugierig .« Sie schilderte, wie die Vernehmung zunächst reibungslos verlaufen war, bis Pell seinen Wutanfall bekommen hatte. »Okay, ich bin ein bisschen mitgenommen«, räumte sie unter TJs skeptischem Blick ein. »Man hat mich schon vorher bedroht. Aber das hier waren die schlimmstmöglichen Drohungen.«
    »Schlimmstmöglich?«, fragte Juan Millar, ein hochgewachsener, dunkelhäutiger junger Detective aus der Ermittlungsabteilung des MCSO – des Monterey County Sheriff’s Office -, dessen Zentrale unweit des Gerichtsgebäudes lag.
    » Ruhige Drohungen«, sagte Dance.
    » Freundliche Drohungen«, warf TJ ein. »Man weiß, dass man in Schwierigkeiten steckt, wenn sie aufhören zu schreien und anfangen zu flüstern.«
    Die Kleinen sind oft allein ...
    »Was ist passiert?«, fragte Sandoval, der anscheinend eher wegen seines Falls besorgt war als wegen der Drohungen gegen Dance.
    »Als er abstritt, Herron gekannt zu haben, gab es bei ihm keinerlei Stressreaktion. Erst als ich ihn so weit hatte, über ein Polizeikomplott zu reden, wurden bei ihm Abwehr und Zurückweisung spürbar. Und ein paar Bewegungen der Gliedmaßen, die vom bisherigen Verhalten abgewichen sind.«
    Kathryn Dance wurde oft als menschlicher Lügendetektor bezeichnet, aber das traf es nicht ganz; in Wahrheit war sie – wie alle erfolgreichen kinesischen Analytiker und Verhörspezialisten – ein Stress detektor. Das war der Schlüssel zu jeder Irreführung; sobald Dance Stress wahrnahm, ging sie näher auf das auslösende Thema ein und grub immer tiefer, bis der Verdächtige einknickte.
    Kinesik-Experten unterscheiden zwischen mehreren Arten von Stress. Der Stress, der hauptsächlich auftritt, wenn jemand nicht die vollständige Wahrheit sagt, wird »Täuschungsstress« genannt.
    Doch Menschen können auch ganz allgemein Stress empfinden, wenn sie verunsichert oder nervös sind. Das hat dann nichts mit Lügen zu tun. Es ist, was jemand verspürt, der beispielsweise zu spät zur Arbeit kommt, eine Rede in der Öffentlichkeit halten muss oder Angst vor körperlichen Schmerzen hat. Dance hatte gelernt, dass jede Art von Stress von verschiedenen kinesischen Verhaltensweisen begleitet wurde.
    Sie erklärte dies und fügte hinzu: »Ich hatte den Eindruck, dass er das Gespräch nicht wieder unter Kontrolle bekommen konnte. Also ist er ausgerastet.«
    »Obwohl die von Ihnen angebotene Theorie seine Verteidigung gestützt hätte?« Der schlaksige Juan Millar kratzte sich geistesabwesend an der linken Hand. Auf der Haut zwischen Zeigefinger und Daumen war eine Narbe zu sehen, das Überbleibsel einer entfernten Bandentätowierung.
    »Genau.«
    Dann vollführte Dances Verstand einen seiner sonderbaren Sprünge. Von A nach B nach X . Sie konnte sich nicht erklären, wie es dazu kam. Aber sie schenkte diesen Eingebungen stets Beachtung. »Wo wurde Robert Herron ermordet?« Sie ging zu einer Karte von Monterey County, die an Sandovals Wand hing.
    »Hier.« Der Staatsanwalt deutete auf einen Punkt in dem gelben Trapez.
    »Und der Brunnenschacht, in dem der Hammer und die Brieftasche

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