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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gelegentlich so laut, dass sich manch einer verwundert zu ihnen umdrehte, zumal ihre dunklen Augengläser Aufsehen erregten. Dergleichen trugen für gewöhnlich nur reiche Gecken, die sich selten unter das gemeine Volk mischten. Andererseits ließ Junipas zerschlissenes Kleid wenig Zweifel daran, dass sie nie einen Palast von innen gesehen hatte.
    Die beiden Mädchen standen am linken Fuß der Brücke und nippten an ihrem Saft, der mit viel zu viel Wasser gestreckt war. Am anderen Ufer spielte ein Geiger zum Tanz auf, bald gesellte sich ein Flötenspieler dazu. Die Röcke junger Frauen wirbelten wie bunte Kreisel.
    »Du bist so ruhig«, stellte Junipa fest und wusste noch immer nicht so recht, wohin sie zuerst schauen sollte. Merle hatte sie noch nie so aufgekratzt gesehen. Sie war froh, hatte sie doch befürchtet, dass der Trubel Junipa Angst machen könnte.
    »Du suchst nach diesem Jungen.« Junipa blickte silbrig über den Rand der Brille. »Serafin.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Ich war dreizehn Jahre lang blind. Ich kenne die Menschen. Wenn die Leute wissen, dass du nichts siehst, werden sie unvorsichtig. Sie verwechseln Blindheit mit Taubheit. Man muss nur genau zuhören, und sie verraten dir alles über sich.«
    »Und was hab ich dir über mich verraten?«, fragte Merle stirnrunzelnd.
    Junipa lachte. »Dich kann ich ja sehen, und das reicht völlig aus. Du schaust dich schon die ganze Zeit nach allen Richtungen um. Und wen könntest du schon suchen außer Serafin?«
    »Das bildest du dir nur ein.«
    »Tu ich nicht.«
    »Tust du doch.«
    Junipas Lachen erklang gläsern und hell. »Ich bin deine Freundin, Merle. Mädchen reden über so was.«
    Merle tat, als würde sie nach ihr schlagen, und Junipa kicherte wie ein Kind. »Ach, lass mich in Ruhe«, rief Merle lachend.
    Junipa blickte auf. »Da drüben ist er.«
    »Wo?«
    »Da, auf der anderen Seite.«
    Junipa hatte Recht. Serafin saß ein wenig abseits am Rande des Gehwegs und ließ die Beine über dem Kanal schaukeln. Seine Sohlen kamen dem Wasser gefährlich nahe.
    »Nun geh schon zu ihm«, sagte Junipa.
    »Nie im Leben.«
    »Wieso denn nicht?«
    »Schließlich ist er Weberlehrling. Einer unserer Gegner, schon vergessen? Ich kann doch nicht einfach… Es gehört sich nicht.«
    »Es gehört sich noch viel weniger, so zu tun, als würde man seiner Freundin zuhören, wenn man in Wahrheit mit den Gedanken ganz woanders ist.« »Kannst du mit deinen Augen auch Gedanken lesen?«, fragte Merle amüsiert.
    Junipa schüttelte ernsthaft den Kopf, als hätte sie die Möglichkeit tatsächlich in Betracht gezogen. »Man muss dich doch nur anschauen.«
    »Du meinst wirklich, ich soll mit ihm reden?«
    »Sicher.« Junipa grinste. »Oder hast du etwa Angst?«
    »Unsinn. Ich will ihn eigentlich nur fragen, wie lange er schon für Umberto arbeitet«, rechtfertigte sich Merle.
    »Ganz schlechte Ausrede!«
    »Blöde Ziege! Nein, bist du nicht. Du bist ein Schatz!« Damit fiel sie Junipa um den Hals, drückte sie kurz an sich und lief dann über die Brücke hinüber zum anderen Ufer. Unterwegs schaute sie über die Schulter zurück und sah, dass Junipa ihr mit sanftem Lächeln nachblickte.
    »Hallo.«
    Merle blieb erschrocken stehen. Serafin musste sie entdeckt haben, denn er stand plötzlich direkt vor ihr.
    »Hallo«, gab sie zurück und klang dabei, als hätte sie sich gerade an einem Obstkern verschluckt. »Du bist auch hier?«
    »Sieht ganz danach aus.«
    »Ich dachte, du sitzt vielleicht lieber zu Hause und heckst Pläne aus, wie man anderen Leuten Farbe ins Gesicht klatscht.«
    »Ach, das…« Er grinste. »Das machen wir nicht jeden Tag. Möchtest du was trinken?«
    Sie hatte ihren Becher bei Junipa zurückgelassen, deshalb nickte sie. »Saft. Bitte.«
    Serafin wandte sich um und trat an einen Ausschank. Merle beobachtete ihn von hinten. Er war eine Handbreit größer als sie, etwas dünn vielleicht, aber das waren sie schließlich alle. Wer in einen Belagerungszustand hineingeboren wird, kommt nicht in die Verlegenheit, sich Sorgen um sein Gewicht zu machen. Es sei denn, dachte sie zynisch, man heißt Ruggero und frisst heimlich die halbe Waisenhausküche leer.
    Serafin kam zurück und reichte ihr einen Holzbecher. »Apfelsaft«, sagte er. »Ich hoffe, den magst du.«
    Aus Höflichkeit trank sie sofort einen Schluck. »Ja, gern sogar.«
    »Du bist neu bei Arcimboldo, oder?«
    »Das weißt du doch ganz genau.« Sofort bereute sie ihre Worte. Warum war sie so

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