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Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin

Titel: Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weißt - abgesehen davon, wo sie ihre Geldbörse verstecken -, um solche Dinge von dir zu geben.«
    Die schwarze Katze auf Serafins Schulter fauchte Merle an, doch sie kümmerte sich nicht darum. Serafin flüsterte der Katze etwas ins Ohr, und sogleich wurde sie ruhiger.
    »Ich wollte dich nicht beleidigen.« Er wirkte aufrichtig betroffen über Merles Wutausbruch. »Wirklich nicht.«
    Sie sah ihn durchdringend an. »Na, dann werde ich dir dieses eine Mal verzeihen.«
    Er verbeugte sich, sodass die Katze sich fest in sein Hemd krallen musste. »Meinen untertänigsten Dank, gnädige Frau.«
    Merle schaute schnell weg, damit er ihr Lachen nicht bemerkte. Als sie ihn wieder ansah, war die Katze verschwunden. Wo ihre Krallen sich in Serafins Schulter gehakt hatten, leuchteten rote Blutpunkte im Stoff seines Hemdes.
    »Das muss doch weh tun«, sagte sie besorgt.
    »Was ist wohl schmerzhafter? Die tierische oder die menschliche Kratzbürste?«
    Sie zog es vor, darauf keine Antwort zu geben. Stattdessen ging sie weiter, und Serafin war sofort wieder neben ihr.
    »Du wolltest mir noch etwas über die Spiegelschemen erzählen«, sagte sie.
    »Wollte ich das?«
    »Du hättest sonst nicht davon anfangen dürfen.«
    Serafin nickte. »Du hast Recht. Es ist nur -« Er verstummte plötzlich, blieb stehen und horchte in die Nacht.
    »Was ist?«
    »Psst«, machte er und legte sanft einen Finger an ihre Lippen.
    Sie lauschte angestrengt ins Dunkel. In den engen Gassen und Wasserstraßen Venedigs hörte man oft die seltsamsten Laute. Die engen Schächte zwischen den Häusern verzerrten Geräusche bis zur Unkenntlichkeit. Das verwinkelte Labyrinth der Gassen wirkte bei Dunkelheit wie ausgestorben, weil die meisten Menschen um diese Uhrzeit lieber die belebteren Hauptwege benutzten. Räuber und Meuchelmörder machten viele Viertel unsicher, und so hallten gelegentlich Schreie, Wimmern oder hektische Fußtritte zwischen den alten Mauern wider und wurden als Echo an Orte transportiert, die weit entfernt vom Ursprung der Laute lagen. Falls Serafin tatsächlich etwas Besorgnis Erregendes gehört hatte, mochte das alles und nichts bedeuten: Die Gefahr konnte hinter der nächsten Biegung lauern oder aber viele hundert Meter entfernt sein.
    »Soldaten!«, zischte er, packte die überraschte Merle am Arm und zerrte sie in einen der schmalen Tunnel, die unter vielen Häusern der Stadt verliefen, überbaute Gassen, in denen bei Nacht völlige Finsternis herrschte.
    »Bist du sicher?«, flüsterte sie ganz nah an seiner Wange und spürte, dass er nickte.
    »Zwei Männer auf Löwen. Hinter der Ecke.«
    Dann sah sie die beiden auch schon, Uniformierte mit Schwert und Gewehr, die auf grauen Basaltlöwen ritten. Die Raubkatzen trugen ihre Reiter mit majestätischen Schritten an der Mündung des Durchgangs vorüber. Es war erstaunlich, mit welcher Grazie sich die Löwen bewegten. Ihre Körper waren aus massivem Stein, und trotzdem glitten sie dahin wie flinke Hauskater. Ihre Krallen, spitz wie Dolchklingen, scharrten über das Pflaster und hinterließen tiefe Furchen.
    Als die Patrouille weit genug entfernt war, flüsterte Serafin: »Manche von denen kennen mein Gesicht. Ich bin nicht scharf darauf, ihnen zu begegnen.«
    »Wer es mit dreizehn schon zum Meisterdieb gebracht hat, hat sicher allen Grund dazu.«
    Er lächelte geschmeichelt. »Mag schon sein.«
    »Warum hast du die Gilde verlassen?«
    »Die älteren Meister konnten es nicht ertragen, dass ich mehr Beute machte als sie. Sie verbreiteten Lügen über mich und versuchten, mich aus der Gilde zu werfen. Da hab ich es vorgezogen, freiwillig zu gehen.« Er trat aus dem Durchgang in den weichen Schein einer Gaslaterne. »Aber komm - ich hab versprochen, dir mehr über die Spiegelgeister zu erzählen. Dazu muss ich dir erst was zeigen.«
    Sie wanderten weiter durch den Irrgarten enger Gassen und Durchgänge, bogen hier nach rechts, dort nach links, überquerten Brücken über stillen Kanälen und gingen durch Torbögen und unter Wäscheleinen entlang, die sich zwischen den Häusern spannten wie ein Aufmarsch bleicher Gespensterlaken. Unterwegs begegnete ihnen nicht ein einziger Mensch, ein weiteres Merkmal dieser seltsamsten aller Städte: Man lief oft kilometerweit und sah niemanden, nur Katzen und Ratten auf ihrer Beutejagd im Abfall.
    Vor ihnen endete die Gasse an der Wasserkante eines Kanals. Es führten keine Gehwege an seinem Ufer entlang, die Mauern der Häuser reichten geradewegs ins Wasser.

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