Die Merle-Trilogie 01 - Die Fließende Königin
schnippisch? Konnte sie ihm nicht normal antworten? »Seit ein paar Wochen«, setzte sie hinzu.
»Waren du und deine Freundin im selben Waisenhaus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Mm-mm.«
»Arcimboldo hat irgendwas mit ihren Augen gemacht.«
»Sie war blind. Jetzt kann Junipa wieder sehen.«
»Dann stimmt es, was Meister Umberto behauptet.«
»Und das wäre?«
»Er sagt, Arcimboldo verstehe sich auf Zauberei.«
»Das sagen andere über Umberto.«
Serafin grinste. »Ich bin jetzt seit über zwei Jahren in seinem Haus, und mir hat er noch keinen einzigen Zaubertrick gezeigt.«
»Ich glaube, Arcimboldo hebt sich das auch bis zum Schluss auf.«
Sie lachten ein wenig nervös, nicht weil sie ihre erste Gemeinsamkeit entdeckt hatten, sondern weil sie beide nicht so recht wussten, wie sie das Gespräch fortsetzen sollten.
»Gehen wir ein Stück?« Serafin deutete den Kanal hinunter, dorthin, wo sich der Menschenpulk auflöste und die Lampions leeres Wasser beschienen.
Merle grinste spitzbübisch. »Nur gut, dass wir nicht zur feinen Gesellschaft gehören. Sonst wäre das wohl unschicklich, oder?«
»Ich pfeif auf die feine Gesellschaft.«
»Gemeinsamkeit Nummer zwei.«
Eng beieinander, aber ohne sich zu berühren, wanderten sie am Kanal entlang. Die Musik wurde leiser und blieb bald hinter ihnen zurück. Das Wasser schwappte rhythmisch gegen die dunklen Mauern. Irgendwo über ihnen gurrten Tauben in den Nischen und Stuckverzierungen der Häuser. Sie bogen um eine Ecke und verließen den Schein der Lampionschwärme.
»Musstest du schon Spiegelgeister jagen?«, fragte Serafin nach einer Weile.
»Geister? Meinst du, dass es Geister sind, die in den Spiegeln hausen?«
»Meister Umberto sagt, es sind die Geister all jener Leute, die Arcimboldo übers Ohr gehauen hat.«
Merle lachte. »Und das glaubst du?«
»Nein«, gab Serafin ernst zurück. »Weil ich es besser weiß.«
»Aber du bist Weber, kein Spiegelmacher.«
»Weber bin ich erst seit zwei Jahren. Vorher war ich mal hier, mal dort, überall in Venedig.«
»Hast du noch Eltern?«
»Nicht dass ich wüsste. Zumindest haben sie sich mir nicht vorgestellt.«
»Aber du warst auch nicht im Waisenhaus.«
»Nein. Ich hab auf der Straße gelebt. Wie gesagt, mal hier, mal dort. Und während dieser Zeit habe ich viele Dinge aufgeschnappt. Dinge, die nicht jeder weiß.«
»Wohl wie man eine Ratte ausnimmt, bevor man sie isst?«, fragte sie spöttisch.
Er schnitt ihr eine Grimasse. »Auch das, ja. Aber das meine ich nicht.«
Eine schwarze Katze huschte an ihnen vorüber, schlug dann einen Haken und kehrte zu ihnen zurück. Ohne Warnung sprang sie Serafin an. Doch es war kein Angriff. Stattdessen landete sie zielsicher auf seiner Schulter und schnurrte. Serafin zuckte nicht einmal, hob nur eine Hand und begann, das Tier zu streicheln.
»Du bist ein Dieb!«, entfuhr es Merle. »Nur Diebe sind so vertraut mit den Katzen.«
»Streuner unter sich«, bestätigte er mit einem Lächeln. »Diebe und Katzen haben vieles gemeinsam. Und teilen so manches miteinander.« Er seufzte. »Aber du hast Recht. Ich bin unter Dieben aufgewachsen. Mit fünf bin ich Mitglied der Gilde geworden, später dann einer ihrer Meister.«
»Ein Meisterdieb!« Merle war verblüfft. Die Meisterdiebe der Gilde waren die geschicktesten Langfinger Venedigs. »Aber du bist doch nicht älter als fünfzehn!«
Er nickte. »Mit dreizehn habe ich die Gilde verlassen und bin in die Dienste Umbertos getreten. Jemanden wie mich konnte er gut gebrauchen. Jemand, der heimlich bei Nacht durch die Fenster der Damen klettert und ihnen die bestellte Ware liefert. Du weißt wahrscheinlich, dass die meisten Ehemänner es nicht gerne sehen, wenn ihre Frauen Geschäfte mit Umberto machen. Sein Ruf ist -« »Schlecht?«
»Na ja, so ungefähr. Aber seine Kleider machen schlank. Und die wenigsten Frauen wollen, dass ihre Männer erfahren, um wie viel fülliger sie in Wahrheit sind. Umbertos Ruf mag nicht der beste sein, aber seine Geschäfte laufen einträglicher denn je.«
»Die Männer erfahren die Wahrheit spätestens dann, wenn die Frauen sich .« Merles Wangen färbten sich rot. »Wenn sie sich ausziehen.«
»Oh, auch da gibt es Tricks und Kniffe. Sie löschen das Licht, oder sie machen ihre Männer betrunken. Frauen sind geschickter, als du denkst.«
»Ich bin eine Frau!«
»In ein paar Jahren vielleicht.«
Sie blieb entrüstet stehen. »Serafin Meisterdieb, ich denke nicht, dass du genug über Frauen
Weitere Kostenlose Bücher