Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
aber er glaubte, dass sie es sich trotzdem zu einfach machte.
»Ich bin keine Kämpferin.«
Ja, dachte er, das liegt auf der Hand, oder? Dann jedoch erinnerte er sich an ihre messerscharfen Löwenkrallen und erschauerte.
»Aber«, fuhr sie fort, »uns bleibt keine Wahl. Wir müssen kämpfen, denn das ist die einzige Sprache, die Amenophis versteht.«
»Wenn auch nur ein Bruchteil von dem wahr ist, was man sich über das Imperium erzählt, kann der Pharao Venedig innerhalb von ein paar Minuten auslöschen. Was sollten ihm da ein paar Rebellen ausmachen?«
»Du solltest nicht alles glauben, was über die Macht der Ägypter erzählt wird. Manches ist wahr - und vieles davon ist schlimm genug, ohne Frage -, aber einiges beruht auch auf geschickt gestreuten Gerüchten und auf der Macht der Illusion. Die Horuspriester sind Meister der Täuschung.«
»Es ist aussichtslos, trotz allem. Ich habe die Mumienkrieger gesehen. Ich habe gesehen, wie sie kämpfen.«
Die Sphinx nickte. »Und wie sie sterben.«
»Durch Glück, nichts sonst.«
Lalapeja stieß einen tiefen Seufzer aus. »Niemand hier hat vor, gegen die Mumienkrieger ins Feld zu ziehen. Zumindest nicht so, wie du es dir vorstellst.«
»Was dann?«
»Erst muss ich wissen, ob du uns helfen wirst.« Sie trat einen weiteren Schritt auf ihn zu, auf den zarten Füßen einer Tänzerin. Es war unmöglich, sich ihrer Anmut zu entziehen.
»Warum ich?«
»Warum du?« Erneut lächelte sie, und ihre Stimme klang jetzt wieder sanfter. »Ich glaube, du unterschätzt, welchen Ruf du hast. Mit dreizehn ein Meister der Diebesgilde, der jüngste, den Venedig je gesehen hat. Keiner, der schneller und geschickter an Fassaden emporklettert. Keiner, der sich rascher an jeder Wache vorbeischleicht. Und keiner, der mutiger ist, wenn es darum geht, eine Aufgabe zu erfüllen, an der alle vor ihm gescheitert sind.«
Ihre Worte waren ihm unangenehm. Sie hatte es nicht nötig, ihm zu schmeicheln, und das bedeutete, dass sie an seine Ehre appellierte. Zudem kamen ihre Worte recht nah an die Wahrheit heran. Und doch lag all das eine Ewigkeit zurück, in einem anderen Leben.
»Damals war ich dreizehn«, sagte er. »Und heute -«
»Siebzehn.«
»Und heute«, fuhr er fort, ohne den Einwurf zu beachten, »bin ich nichts mehr von dem, was Sie gesagt haben. Ich habe die Gilde verlassen. Ich stehle nicht mehr.
Ich bin ein Lehrling des Webermeisters Umberto, das ist alles.«
»Immerhin hast du den Ägyptern die Fließende Königin gestohlen.«
Er starrte sie mit aufgerissenen Augen an. »Sie wissen davon?«
»Natürlich.« Aber sie blieb ihm die Erklärung schuldig, und das machte ihn abermals argwöhnisch. Als sie es bemerkte, setzte sie rasch hinzu: »Du und das Mädchen. Merle.«
»Was wissen Sie über Merle?«
Lalapeja zögerte. »Sie hat Venedig verlassen.«
»Auf einem steinernen Löwen, ja, ich weiß«, sagte er ungeduldig. »Aber wo ist sie jetzt? Geht es ihr gut?«
»Ihr ist nichts geschehen«, sagte die Sphinx. »Mehr weiß ich auch nicht.«
Er hatte das zwingende Gefühl, dass sie log, und er gab sich alle Mühe, sie es spüren zu lassen. Zugleich ahnte er, dass ihr Entschluss feststand und sie ihm nicht mehr sagen würde. Nicht im Augenblick. Wenn er jedoch noch eine Weile hier bliebe, mochte es ihm gelingen, mehr aus ihr herauszuholen, über Merle und die Königin und -
Er erschrak, als ihm klar wurde, dass er ihr auf den Leim gegangen war. Er hatte den Köder geschluckt.
»Ich helfe Ihnen«, sagte er, »wenn Sie mir mehr über Merle erzählen.«
Lalapeja schien das Angebot abzuwägen. »Mir wäre es lieber, wenn du es tun würdest, weil du die Notwendigkeit einsiehst.«
Er schüttelte den Kopf. »Nur für Merle.«
Die Augen der Sphinx, ihre braunen, tiefgründigen Augen, tasteten über sein Gesicht, prüften, ob er die Wahrheit sagte. Er war nervös, obwohl ihm klar war, dass sie nichts anderes finden würde; jedes Wort meinte er so, wie er es gesagt hatte. Für Merle würde er sogar nach Ägypten gehen, wenn es sein musste, und dem Pharao eine Nase drehen. Und sich vermutlich am erstbesten Mumienkrieger den Schädel einrennen. Aber es war schließlich der Versuch, der zählte. Irgendwie.
»Bist du in Merle verliebt?«, fragte Lalapeja nach einer Weile.
»Das geht Sie gar nichts an.« Ihm wurde erst bewusst, dass er ihre Frage damit beantwortet hatte, als die Worte bereits heraus waren. »Und es hat auch nichts mit dem hier zu tun«, fügte er eilig hinzu.
»Du
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