Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
mit sich, zwei, drei Schritte weit.
Die Löwentatzen trugen die Sphinx in einer eleganten Bewegung hinter ihm her. »Bitte, Serafin. Ich habe dir das gezeigt, damit du weißt, mit wem du es zu tun hast. Aber es wäre nicht zwingend nötig gewesen.«
»Wie… wie meinen Sie das?«
Sie lächelte und sah dabei so hübsch aus, dass es beinahe schmerzte, mit dem gleichen Blick auch den animalischen Teil ihres Körpers wahrzunehmen. »Wie ich das meine?… Ach, Serafin! So, natürlich.«
Beim Klang der Worte verwischte ihr Bild vor seinen Augen. Serafin glaubte erst, der Sand vom Boden wölke empor, doch dann begriff er, dass es mehr war als das.
Sie verschwamm nicht nur in seiner Wahrnehmung - ihr ganzer Körper schien sich eine Sekunde lang aufzulösen und neu zusammenzusetzen, kein fließender Übergang, sondern ein explosionsartiger Wirbel, als zerstöbe sie in eine Wolke winziger Teilchen, um sich dann, noch im selben Atemzug, zu etwas Neuem zusammenzufügen. Zu etwas anderem.
Ihr Gesicht und der schlanke Oberkörper blieben unverändert, aber sie wuchsen jetzt nicht mehr aus dem Leib eines Löwen, sondern gingen ganz natürlich in schmale Hüften und lange, gebräunte Schenkel über. Die Schenkel einer Frau.
Ihr Fell war verschwunden. Ersatzlos.
»Du gestattest?« Nackt beugte sie sich vor, fischte den Seidenvorhang vom Boden zu Serafins Füßen und verhüllte mit einer blitzschnellen Drehung ihre Blöße. Der gelbe Schleier schmiegte sich um ihre Formen wie ein Kleid, niemand hätte vermutet, dass der Stoff eben noch als Vorhang von der Decke gehangen hatte; an ihr wirkte er so natürlich und passgenau wie das teuerste Gewebe aus Umbertos Werkstatt.
Serafin hatte versucht, den Blick abzuwenden, aber sie ließ ihm keine Zeit dazu. Stattdessen erstrahlte das Bild ihres vollendeten Körpers noch immer vor seinen Augen, als hätte es sich in seine Netzhaut gebrannt. Wie Lichtpunkte, nachdem man zu lange in die Sonne geblickt hatte.
»Serafin?«
»Äh… ja?«
»Ist es so besser?«
Er blickte an ihr hinab, hinunter zu ihren schmalen Füßen, die halb verdeckt im weichen Sand standen. »Das ändert nichts«, sagte er und musste sich zu jedem Wort zwingen. »Sie sind eine Sphinx, ganz egal, welche Gestalt Sie annehmen.«
»Natürlich. Aber du musst jetzt keine Angst mehr vor meinen Krallen haben.« Purer Schalk geisterte durch ihre Augen.
Er gab sich alle Mühe, nicht auf ihren spöttischen Unterton zu achten. »Was tun Sie hier?«
»Ich leite den Gegenangriff.«
»Gegen den Pharao?« Er lachte und hoffte, dass es so humorlos klang, wie es gemeint war. »Mit ein paar Kindern?«
Sie rieb ihren rechten Fuß über den linken; beinahe hätte er ihr die Verlegenheit abgenommen, die sie ihm damit signalisieren wollte. Nur beinahe. »Bist du ein Kind, Serafin?« Ihr Augenaufschlag war eine Spur zu kokett, um zufällig zu sein.
»Sie wissen genau, was ich meine.«
»Und du weißt, glaube ich, was ich meine.« Schlagartig wurde ihr Ton schärfer, die Betonung härter. »Dario und die anderen mögen erst fünfzehn, sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein« - womit sie ihm indirekt bestätigte, was er bereits vermutet hatte: dass es unter den Rebellen keine Erwachsenen gab -, »aber sie sind geschickt und schnell. Und der Pharao wird sie unter schätzen. Das ist vielleicht unsere stärkste Waffe: Amenophis’ Eitelkeit.«
»Sie haben gesagt, Sie kennen ihn nicht.«
»Nicht in seiner heutigen Gestalt. Aber ich weiß, wie er früher war, in seinem ersten Leben.«
»Wie lange ist das her?«
»Weit mehr als dreitausend Jahre.«
»Sie sind dreitausend Jahre alt?«
Sie lachte wieder, aber nur kurz. »Ein paar tausend mehr oder weniger.«
Serafin presste die Lippen aufeinander und sagte nichts mehr.
Lalapeja fuhr fort: »Amenophis! Eitelkeit und Arroganz sind der Grund, warum ich nur Jungen wie dich ausgewählt habe. Glaubst du denn, ich hätte keine Männer gefunden, größer und stärker als jeder hier im Haus? Aber es wäre sinnlos gewesen. Die Ägypter werden noch heute jeden erwachsenen Mann unter Arrest stellen und sie nach und nach deportieren. Eine Hand voll Kinder dagegen… Nun, ich denke, der Pharao wird sich erst mit Wichtigerem herum schlagen. In welcher Farbe er seine Gemächer hier in Venedig einrichtet, zum Beispiel. Das zumindest hätte der frühere Amenophis getan.«
»Sie wollen wirklich mit Dario und den anderen gegen die Ägypter kämpfen?« Sie mochte Recht haben mit einigem, was sie sagte,
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