Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
stützte das Kinn in beide Hände, um Vermithrax in die Augen zu sehen. »Irgendwie schon. Na ja, ich weiß, dass du nichts mit denen zu schaffen hast. Aber eigenartig ist es doch, oder?«
    Der Löwe setzte sich auf, damit er Merle anschauen, aber zugleich die Umgebung des Felsens im Blick behalten konnte. »Ich habe auch schon darüber nachgedacht.«
    »Und?«
    »Wir wissen einfach zu wenig über die Lilim.«
    »Wie viel wisst denn ihr Löwen über euch selbst? Wie kommt es zum Beispiel, dass deine Mähne aus Stein ist und sich trotzdem weich anfühlt? Oder warum ist deine Zunge beweglich, obwohl sie aus Obsidian besteht?«
    »Es ist beseelter Stein«, sagte er, als wäre das Antwort genug. Als er sah, dass sich Merle damit nicht zufrieden geben würde, fuhr er fort: »Es ist Stein, aber es ist auch Fleisch oder Haar. Es hat die Struktur und die Stärke und die Härte von Stein, aber es ist auch Leben darin, und das ändert alles. Das ist die einzige Erklärung, die ich dir geben kann. Unter uns Löwen hat es niemals Wissenschaftler gegeben, die diese Dinge untersucht hätten. Wir sind nicht wie ihr Menschen. Wir können die Dinge akzeptieren, ohne sie in ihre Bestandteile zu zerlegen und ihnen das letzte Geheimnis zu entreißen.«
    Merle dachte über diese Worte nach, während sie darauf wartete, dass sich die Königin äußerte. Doch die Stimme in ihrem Inneren schwieg.
    »Und die Lilim?«, fragte Merle schließlich. »Glaubst du, sie sind auch aus diesem beseelten Stein?«
    »Für mich sahen diese Kreaturen nicht aus, als besäßen sie eine Seele. Aber es gibt Menschen, die sagen das Gleiche über uns Löwen. Wer bin ich also, mir ein Urteil über die Lilim erlauben zu können?«
    »Das klingt ziemlich weise.«
    Vermithrax lachte. »Es ist gar nicht so schwer, Unwissenheit als Weisheit auszugeben. Eure Gelehrten und Philosophen und Priester tun das, seit es euch Menschen gibt.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Die Anführer von uns Löwen übrigens auch.«
    Es war das erste Mal, dass Merle ihn etwas Abfälliges über andere Löwen sagen hörte, und sie hatte das Gefühl, dass es ihn große Überwindung kostete. Das Volk der Löwen unterschied sich in der Tat weit mehr von den Menschen, als sie bislang geglaubt hatte. Vielleicht, so spann sie den Gedanken weiter, war die Verwandtschaft der Löwen zu den Lilim ja enger als jene zu den Menschen. Sie fragte sich, ob diese Vorstellung ihr Angst machen sollte, verspürte dabei aber nichts als Neugier.
    Dazu kam, dass alles hier unten ihr irgendwie Angst einjagte, sogar der Fels, auf dem sie lag, und die rätselhafte Wärme, die aus seinem Inneren aufstieg. Sie hatte das Gefühl, er könne jeden Augenblick explodieren wie die Vulkane, von denen sie gehört hatte. Aber sie verdrängte auch diesen unangenehmen Gedanken, genau wie so viele andere.
    »Was sollen wir tun, wenn wir Lord Licht gefunden haben?« Sie stellte die Frage an niemand Bestimmtes. Das war es, was sie auf ihrem langen Flug in den Abgrund beschäftigt hatte, die Frage nach dem Ziel ihrer Mission. Langsam strich ihr Blick über die trostlose Felswüste, die sich in alle Richtungen erstreckte. Die Landschaft sah nicht aus, als könnte irgendjemand hier freiwillig leben, gewiss kein Fürst oder Herrscher wie der geheimnisvolle Lord Licht.
    »Das muss die Königin wissen«, sagte Vermithrax. Er beherrschte die Kunst, seine Stimme vollkommen gleichgültig klingen zu lassen, auch wenn er im Inneren vermutlich ebenso aufgewühlt war wie Merle selbst.
    »Wir bitten ihn um Hilfe«, sagte die Fließende Königin.
    »Das weiß ich.« Merle stemmte sich auf die Füße, trat an den Rand des Felsplateaus und ließ sich den schwülwarmen Teerwind um die Nase wehen. Vermithrax rief ihr zu, sie möge vorsichtig sein, aber sie hatte das Gefühl, die Gefahren dieser Umgebung endlich am eigenen Leib spüren zu müssen, um sicher zu sein, dass sie das alles nicht träumte.
    Die Steilwand fiel vor ihren Füßen fünfzig, sechzig Meter tief ab, und Merle wurde schwindelig. Seltsamerweise empfand sie das beinahe als gutes Gefühl. Ein wahrhaftiges, wirkliches Gefühl.
    »Ich weiß, dass wir all dies hier auf uns genommen haben, um ihn um Hilfe zu bitten«, sagte sie noch einmal. »Für Venedig und für all die anderen. Aber wie werden wir das tun? Ich meine, was wird er wohl denken, wenn ein Mädchen auf einem fliegenden Löwen vor seinem Thron erscheint und .«
    »Wer sagt, dass er einen Thron hat?«
    »Ich denke, er ist

Weitere Kostenlose Bücher