Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
musst dich nicht dafür schämen.«
Er wollte rasch etwas erwidern, schluckte die Antwort dann aber herunter und fragte stattdessen: »Kennen Sie Merle?«
»Vielleicht.«
»Ach, kommen Sie schon - was für eine Antwort ist das?«
»Die Wahrheit. Ich bin nicht sicher, ob ich sie kenne.« Ein erschrockenes Blitzen funkelte durch ihre Augen, als ihr klar wurde, dass sie damit möglicherweise zu viel verraten hatte. Merklich beherrschter sagte sie: »Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich aushorcht.« Aber ihr Lächeln verriet, dass sie ihm nicht böse war.
Serafin löste sich von ihrem Anblick und ging ein paar Schritte auf und ab, so als wäge er ab, ob er wirklich noch länger hier bleiben wollte. Dabei war seine Entscheidung längst gefallen. Wohin hätte er auch gehen können? Umbertos Weberwerkstatt stand leer, der Meister war weiß Gott wohin geflohen. Seinen einstigen Freunden aus der Diebesgilde hatte Serafin schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt. Und zurück zu Arcimboldo, Unke und Junipa? Etwas sagte ihm, dass dies vielleicht der richtige Weg wäre. Aber konnte er Junipa womöglich eher vor Lord Licht bewahren, wenn er sich der Sphinx und ihrem merkwürdigen Haufen anschloss?
Schließlich blieb er stehen. »Sie müssen mir sagen, was Sie vorhaben.«
»Wir werden keinen Krieg gegen die Ägypter führen. Das wäre tatsächlich vermessen und selbstmörderisch. Der Krieg wird gegen Amenophis selbst gerichtet sein.«
»Gegen den Pharao?«
Als sie nickte, irrlichterte das seltsame Wüstenlicht der Umgebung wie winzige Flammen über ihr schwarzes Haar.
»Sie wollen ihn töten?«, fragte Serafin fassungslos. »Ein Attentat?«
»Das wäre ein Weg. Aber es würde nicht genügen. Amenophis ist kein eigenständiger Herrscher. Auch er wird regiert, von jenen, die ihn zurück ins Leben gerufen haben. Im Moment jedenfalls.«
»Von den Priestern?«
»Von den Horuspriestern, ja. Jahrhundertelang hatten sie an Bedeutung verloren, waren zu einem geheimen Kult zusammengeschrumpft, den die meisten längst vergessen hatten. Bis sie den Pharao in der Pyramide von Amun-Ka- Re zu neuem Leben erweckten. Damit haben sie einem schwachen, dahinvegetierenden Land neue Kraft gegeben. Einen neuen Führer. - Eine neue Identität. Das und ihre Magie waren die beiden Mittel, mit denen sie das Imperium geschaffen haben. Sie sind es, die die Fäden ziehen, nicht Amenophis.«
»Aber das macht alles nur noch aussichtsloser.«
»Wo der Pharao ist, sind auch die Häupter der Priesterschaft, allen voran Seth, sein Wesir und Großmeister des Horuskultes.«
»Sie wollen allen Ernstes, dass wir nach Heliopolis gehen, in die Stadt des Pharaos, und dort nicht nur ihn, sondern auch seinen Wesir und wahrscheinlich eine ganze Anzahl seiner Priester… ausschalten?« Er betonte das letzte Wort, als wäre es die Idee eines Kleinkinds, denn für ebenso sinnvoll hielt er diesen ganzen Irrsinn.
»Nicht nach Heliopolis«, sagte die Sphinx sehr ruhig. »Amenophis und Seth werden bald hier sein. Hier in Venedig. Und wenn mich nicht alles täuscht, werden sie ihr Quartier im Dogenpalast beziehen.«
Serafin stockte der Atem. »Der Pharao kommt hierher?«
»Gewiss. Er wird sich den Augenblick seines größten Triumphs nicht entgehen lassen. Dies ist nicht nur der Sieg über eine einzelne Stadt - es ist der Sieg über die Fließende Königin und alles, wofür sie steht. Sein Triumph über die Vergangenheit und damit auch über seinen eigenen Tod. Abgesehen vom Zarenreich gibt es dann niemanden mehr auf der Welt, der ihm widerstehen könnte.«
Serafin rieb sich mit einer Hand über die Stirn und versuchte angestrengt, mit den Ausführungen der Sphinx Schritt zu halten. »Selbst wenn es wahr wäre und der Pharao käme nach Venedig… von mir aus auch in den Dogenpalast… was würde das ändern? Er wird sich hinter einer Armee von Leibwächtern verstecken. Hinter seinen Mumienkriegern. Und hinter der Magie von Seth und den anderen Priestern, nicht zu vergessen.«
Lalapeja nickte langsam, und ihr Lächeln war so liebenswürdig, als spräche sie mit einem jungen Kätzchen. »Deshalb will ich, dass du uns hilfst.« »Ich soll in den Dogenpalast einbrechen?« Serafin verdrehte die Augen. »Während der Pharao dort ist?«
Die Sphinx musste ihm keine Antwort geben. Er wusste auch so, dass genau dies ihr Plan war. Aber sie sagte etwas anderes, das ihn tiefer berührte als jede Parole oder jedes Versprechen:
»Für Merle.«
Im Ohr des Herolds
Es gab
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