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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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keinen Tag in der Hölle. Und keine Nacht.
    Vermithrax hatte sich nach dem langen Abstieg auf einem Felsen niedergelassen, der die Form einer Hutschachtel hatte; ein Mensch hätte die hohen Steilwände nur mit entsprechender Ausrüstung bezwingen können. Natürlich wussten sie alle - der Obsidianlöwe ebenso wie Merle und die Fließende Königin -, dass es im Grunde genommen keine Rolle spielte, wo sie lagerten, wenn sie es mit Gegnern wie den Lilim aus dem Expeditionslager zu tun bekämen.
    »Vielleicht gibt es solche wie die von oben hier unten gar nicht«, sagte Merle ohne große Überzeugungskraft. Die Stimme der Königin war fest, ihr Enthusiasmus ungebrochen. Trotzdem hatte Merle das Gefühl, dass sie ihr nur Mut machen wollte und selbst nicht völlig an das glaubte, was sie sagte. » Möglich, dass dort oben ein paar der gefährlichsten leben, als Wächter des Eingangs, sozusagen.«
    Einig waren sie sich zumindest darin, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Lilim geben musste, denn der Bote, den Lord Licht den Venezianern gesandt hatte, hatte mit den Kreaturen in der Felswand nichts gemein gehabt.
    »Was aber nicht bedeuten muss, dass die anderen weniger grausam oder schnell sind.« Der Obsidianlöwe leckte sich mit seiner Steinzunge die Schwingen. »Ganz im Gegenteil: Vielleicht sind wir bisher nur den harmlosesten begegnet.«
    »Vielen Dank, Vermithrax«, sagte Merle bitter und hatte das Gefühl, dass die Königin gerade das Gleiche gedacht hatte. »So eine Stimmungskanone wie du ist im Moment ungeheuer hilfreich.«
    Der Löwe blickte nicht einmal auf. »Ich sage nur, was ich denke.«
    Merle hatte bislang im Schneidersitz neben Vermithrax auf dem Felsen gesessen. Jetzt ließ sie sich mit einem Seufzer nach hinten sinken, bis sie den glatten Stein im Rücken spürte. Sie verschränkte die Hände unter dem Hinterkopf und schaute nach oben, dorthin, wo sich in ihrer Welt der Himmel befunden hätte.
    Eine Fläche aus fleckigem Rot öffnete sich ihrem Blick, die noch am ehesten einer Wolkenschicht im Schein der Abendsonne ähnelte: eine Felsendecke, die sich schier endlos in alle Richtungen erstreckte, ein paar tausend Meter über ihnen. Das rot glühende Adernetz, das die Wände des Felsschlunds durchzogen hatte, tauchte auch das Innere der Hölle in schmutziges Orange.
    Überhaupt, Hölle … Der Begriff schien Merle immer unpassender zu sein für das, was sie am Ende des Schachts vorgefunden hatten. Den Boden dieses unterirdischen Reichs - zumindest jenes Teils, in dem sie sich aufhielten - bildete eine öde Felslandschaft, die wie die Decke an vielen Stellen mit Glutadern durchzogen war, manche haarfein, andere so breit wie Vermithrax’ Läufe. Das Gestein fühlte sich warm an, aber an keiner Stelle richtig heiß, und die Winde, die hier unten wehten, rochen nach Teer und der sonderbaren Süße, die Merle schon am Rande des Abgrunds bemerkt hatte.
    Die Decke, zu der sie emporschaute, bestand ebenfalls aus Fels, doch die große Höhe verwischte die Struktur für das menschliche Auge zu Flecken aus Hell und Dunkel, getaucht in das flirrende Rot der Feueradern.
    Merle wusste nicht recht, was sie über all das denken sollte. Auf der einen Seite war die Umgebung aufgrund ihrer maßlosen Größe beeindruckend und Angst einflößend; andererseits aber sagte sie sich, dass dies nichts anderes war als eine gigantische Kaverne im Inneren der Erde, vielleicht ein ganzes System von Kavernen. Mit der Hölle, von der in der Bibel die Rede war, hatte das nichts zu tun. Allerdings, und das war der Haken, mochte sich dieser Eindruck rasch ändern, sobald sie tatsächlich auf weitere Lilim stießen - und sie rechneten jederzeit damit. Selbst jetzt, in Momenten der Ruhe, war Vermithrax wachsam, sein Körper gespannt.
    Dennoch erkannte Merle nun, dass Professor Burbridge diesen Ort allein aus Ermangelung eines besseren Namens Hölle genannt hatte, so, wie er die Wesen, die hier lebten, als Lilim bezeichnete. Er hatte den Mythos wie eine Maske über die Wirklichkeit gestülpt, um sie für die Allgemeinheit verständlicher, fassbarer zu machen.
    »Vermithrax?«
    Der Obsidianlöwe ließ von seinen Schwingen ab und sah zu ihr herüber. »Hmm?«
    »Diese Wesen, oben an der Felswand, die haben ausgesehen, als wären sie aus Stein.«
    Der Löwe brummte zustimmend. »Als wäre die Felswand selbst zum Leben erwacht.«
    »Ist das nicht ein seltsamer Zufall?«
    »Du meinst, weil ich aus Stein bin?«
    Sie rollte sich auf den Bauch und

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