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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Geschmack und Kunstverstand zu Werke gegangen.
    Außer den beiden Jungen befanden sich noch zwei Matrosen in der Kabine. Der eine gab vor, in seiner Koje zu schlafen, aber Serafin hatte ihn mehrfach blinzeln und in seine Richtung blicken sehen.
    Der zweite Mann ließ die Beine von der Kante seiner Liege baumeln und schnitzte aus einem Stück Holz die Figur einer Meerjungfrau; Holzspäne fielen auf die leere Koje unter ihm. Acht Betten waren noch frei, und die Jungen wussten, dass es mehrere dieser Mannschaftsquartiere an Bord des Bootes gab.
    Kapitän Calvino hatte Serafin und Dario in diesem Raum, Tiziano und Aristide in einem anderen unterbringen lassen. Unke und Lalapeja bewohnten eine Doppelkabine am Ende des Mittelganges, der sich wie eine Wirbelsäule durch das gesamte Boot zog; sie lag unweit der Kapitänskajüte.
    Die meisten Mannschaftsmitglieder versahen um diese Zeit ihren Dienst in den labyrinthischen Weiten des Unterseebootes. Es war offensichtlich, dass die beiden Männer auf den Kojen zur Bewachung der Passagiere abgestellt waren, auch wenn sie sich alle Mühe gaben, desinteressiert zu wirken. Niemand hinderte die Jungen daran, im Boot umherzulaufen, und doch taten sie keinen Schritt, der unbeobachtet blieb. Kapitän Calvino mochte ein gewissenloser Menschenschinder sein, aber er war kein Dummkopf. Und nicht einmal der unmissverständliche Befehl der Meerhexe, seine Gäste unbeschadet nach Ägypten zu transportieren, hinderte ihn daran, sein Missfallen an dieser Order offen zur Schau zu tragen.
    Im Flüsterton schilderte Dario weiter, was er in Erfahrung gebracht hatte: „Die Meerhexe hat das Boot unter ihren Schutz gestellt, solange Calvino sie mit Leichenfleisch versorgt. Sie sammeln überall im Mittelmeer Schiffbrüchige und Ertrunkene ein und bringen sie zur Hexe. Der Kerl, mit dem ich gesprochen habe, hat mir erzählt, dass sie jahrelang unter den Schlachtfeldern der großen Seekriege umhergetaucht sind und die Toten mit Netzen aufgefangen haben. Appetitliche Aufgabe, hm? Na ja, auf jeden Fall ist es das, was sie tun, weil's mit der Piraterie eben nicht mehr zum Besten steht. Niemand, nicht mal dieser Verrückte Calvino, will sich mit den Ägyptern anlegen. Und wenn er nicht gerade Leichen aus dem Wasser fischt, erledigt er Aufträge für die Hexe. So wie den, uns nach Ägypten zu schaffen."
    „Weißt du, wie sie an dieses Boot gekommen sind?"
    „Angeblich hat Calvino es mitsamt der Mannschaft bei einem Würfelspiel gewonnen. Keine Ahnung, ob etwas Wahres daran ist. Falls doch, kann man wohl davon ausgehen, dass er betrogen hat, dieser Mistkerl. Hast du gesehen, wie er Lalapeja angegafft hat?"
    Serafin lächelte. „Ehrlich gesagt, mache ich mir um sie die geringsten Sorgen." Die Vorstel ung, dass Calvino die Sphinx in seine Kabine bringen ließe, war einfach unwiderstehlich: Sich das dumme Gesicht des Kapitäns auszumalen, wenn die Sphinx ihre wahre Gestalt annahm und ihm ihre Löwenkrallen zeigte, war Gold wert.
    „Hast du mit Tiziano und Aristide gesprochen?", fragte Serafin.
    „Sicher. Sie stromern irgendwo im Boot herum und stecken ihre Nasen in alles, was sie nichts angeht."
    Serafins schlechtes Gewissen vertiefte sich. Alle hatten sofort damit begonnen, ihre neue Umgebung zu erkunden. Nur er selbst vertat kostbare Zeit, indem er seinen schwermütigen Gedanken nachhing. Die Ungewissheit, was aus Merle geworden war, machte ihm stärker zu schaffen, je länger sie unterwegs waren. Aber er durfte nicht zulassen, dass er darüber das Wichtigste aus den Augen verlor: sie alle heil aus dieser Geschichte herauszubringen.
    „Serafin?"
    „Hm?" Er blinzelte kurz, als Darios Gesicht vor ihm wieder an Schärfe gewann.
    „Du bist für niemanden hier verantwortlich. Red dir das bloß nicht ein."
    „Tu ich gar nicht."
    „Ich schätze, schon. Du hast uns angeführt, als wir in den Dogenpalast eingedrungen sind. Aber das ist längst vorbei. Hier draußen sitzen wir alle in derselben" - er grinste schief - „im selben Boot."
    Serafin seufzte, dann lächelte er verhalten. „Gehen wir nach vorn zur Brücke. Mir ist es lieber, Calvino in die Augen zu schauen, als hier rumzusitzen und nicht zu wissen, ob er vielleicht gerade Befehl gibt, uns allen die Kehlen durchzuschneiden." Als sie gemeinsam zur Tür gingen, rief er den beiden Männern auf den Kojen zu: „Wir verschwinden für ein paar Minuten, die Maschinen sabotieren."
    Der Matrose mit dem Schnitzmesser starrte verblüfft seinen Gefährten an,

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