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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die Besatzungsmitglieder auf der Brücke die Köpfe ein wenig tiefer zwischen die Schultern zogen. Sie ahnten wohl, welches Donnerwetter jeden Augenblick über sie alle hereinbrechen würde.
    Aber noch schwieg Calvino, womöglich, weil er viel zu perplex war. Niemand hatte es je gewagt, in diesem Ton mit ihm zu sprechen. Seine Unterlippe bebte wie der Leib eines Zitteraals.
    Unke blieb unbeeindruckt. „Dieses Boot, Kapitän, war schon vor dem Krieg ein Vermögen wert, mehr als Sie und Ihre Halsabschneider sich in den kühnsten Träumen ausmalen könnten. Heute aber, nachdem es keine Seefahrt mehr gibt, ist das Boot ein so unvorstellbarer Wert, dass selbst die Schatzkammern der Subozeanischen Reiche nicht dagegen aufzuwiegen wären."
    Jetzt überspannt sie den Bogen, dachte Serafin, sah aber zugleich, dass Calvino die Stirn runzelte und aufmerksam zuhörte. Unke war ihrem Ziel ein Stück näher gekommen: Sie hatte ihn neugierig gemacht.
    „Sie sind zu lange an Bord, Kapitän", setzte sie ihre Tirade fort, und jetzt spitzten auch die Matrosen unauffällig die Ohren. „Sie haben vergessen, wie es in der Welt da oben aussieht. Sie und Ihre Leute lassen dieses Boot und seine Kunstschätze verkommen, während Sie durch die Weltmeere ziehen und nach verlorenen Schätzen suchen. Dabei befindet sich der größte aller Schätze hier, direkt unter Ihrem Hintern, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als einen einzigen Schrotthäufen daraus zu machen und zuzusehen, wie Ihre Mannschaft ihn Tag für Tag ein wenig mehr herunterwirtschaftet."
    Calvinos Gesicht schwebte immer noch wenige Zentimeter vor dem ihren, wie festgefroren im Raum.
    „Der größte aller Schätze, sagen Sie?" Seine Stimme klang jetzt leiser und beherrschter als vorhin.
    „Mit Sicherheit - solange Sie nicht dafür sorgen, dass er verrottet wie ein altes Stück Planke am Strand irgendeiner Insel."
    „Hm", machte Calvino. „Sie halten mich für ... unsauber?"
    „Ich halte Sie", sagte Unke freundlich, „für den größten Dreckskerl zwischen hier und dem Polarkreis, und das in jeder Beziehung. Umso schwerer fällt es mir, Sie auf Ihre offensichtlichen Fehler hinzuweisen!"
    Oh Gott, oh Gott, oh Gott, dachte Serafin.
    Dario holte hörbar Luft. „Jetzt ist sie völ ig übergeschnappt", raunte er seinem Freund zu.
    Kapitän Calvino starrte Unke aus großen Augen an. Sein Daumen polierte nervös den Knauf seines Säbels, während seine Gedanken unzweifelhaft um Mord und Totschlag kreisten; um Fischweibfilet; um einen Briefbeschwerer aus dem Gebiss einer Meerjungfrau.
    „Kapitän?" Unke legte den Kopf schräg und lächelte.
    „Was?" Das Wort stieg grollend aus seiner Kehle empor wie Schwefeldämpfe aus einem Vulkankrater.
    „Ich habe Sie doch nicht etwa beleidigt, oder?"
    Zwei Matrosen tuschelten miteinander, und ehe die beiden sich's versahen, war Calvino bei ihnen und schnauzte sie mit einem so ungeheuren Feuerwerk aus Schimpf-Wörtern an, dass selbst Serafin und Dario, beide einst Straßenjungen in den Gassen von Venedig, rote Ohren bekamen.
    „Jemand sollte mitschreiben", wisperte Dario.
    Calvino fuhr hoch, und sein Blick traf die Jungen. Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte er seine Wut auch an ihnen auslassen, doch dann schluckte er die Beschimpfungen herunter und wandte sich wieder Unke zu. Dario atmete auf.
    Der Tobsuchtsanfall hatte den Kapitän ein wenig beruhigt, er konnte Unke jetzt wieder ins Gesicht schauen, ohne sie dabei mit seinen Blicken zu erdolchen. „Sie sind ... unverschämt."
    Unke unterdrückte merklich ein Grinsen, was vermutlich gut so war, denn bei Meerjungfrauen ist das kein schöner Anblick. „Dieses Boot ist ein einziger Schandfleck, Kapitän. Es stinkt, es ist schmutzig und verwahrlost. Und wenn ich Sie wäre - und den Herren der Tiefe sei Dank, dass ich es nicht bin -, würde ich dafür sorgen, dass meine Männer es in Windeseile auf Vordermann bringen. Jedes Rohr, jedes Bild, jeden Teppich. Und dann würde ich mich einen Moment lang zurücklehnen und den Gedanken genießen, einer der reichsten Männer der Welt zu sein."
    Serafin sah zu, wie die Worte in Calvinos Bewusstsein sickerten und ihre ganze Bedeutung entfalteten. Einer der reichsten Männer der Welt. Serafin fragte sich, ob Unke wusste, wovon sie da sprach. Andererseits: Man musste ein Narr sein, nicht zu erkennen, welchen Wert dieses Unterseeboot hatte. In Zeiten wie diesen war es unbezahlbar - wenn auch, und das mochte Calvino in seiner Gier übersehen,

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