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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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obwohl sie nicht genau sehen konnten, was vor sich ging. Serafin vermutete, dass die Jungen es dennoch spürten, genau wie er selbst. Man konnte die Magie fühlen, die durch Eis und Kälte in alle Richtungen strahlte, vielleicht sogar hinab in den Fluss, wo sie die Flossen erkalteter Fischkadaver zum Flattern brachte. Die Härchen auf Serafins Handrücken hatten sich aufgestellt, und aus irgendeinem Grund verspürte er einen leichten Druck hinter seinen Augäpfeln, wie bei einer starken Erkältung. Aber das Gefühl verging so rasch, wie es gekommen war.
    Lalapejas gesunde Hand legte sich mit gespreizten Fingern über die Maske und zog sie mühelos ab.
    Ihr Gesicht darunter war unversehrt, nicht einmal gerötet. Unke atmete auf, als die Sphinx ihr die gläserne Spiegelschale zurückgab.
    „Das war alles?", fragte Serafin.
    Unke schob die Maske in ihren Rucksack. „Das würdest du nicht sagen, wenn du sie auf dem Gesicht gehabt hättest."
    Lalapeja beugte sich wieder über die Öffnung im Eis.
    „Nicht", flüsterte Serafin. Aber er hielt sie nicht zurück. Sie wussten al e, dass dies der einzige Weg war.
    Lalapeja tauchte die gesunde linke Hand ins Wasser. Serafin glaubte fühlen zu können, wie die Kälte daran emporkroch, wie das Blut aus ihrem Unterarm wich und die Haut sich weiß färbte. Sphinxe waren Wesen der Wüste, und die eisige Kälte musste auf ihren Organismus eine besonders verheerende Wirkung haben.
    Wieder vergingen Minuten, in denen sich nichts regte, in denen selbst der Frost um sie herum den Atem anhielt und den Eiswind über der Ebene zum Erliegen brachte. Lalapejas Gesicht wurde fahler und fahler, während sie ihre Hand der Kälte aussetzte und das Fleisch allmählich abstarb. Aber sie zog sie nicht zurück, wartete geduldig ab und tastete in der Dunkelheit unter dem Eis nach einer Antwort auf ihre stummen Rufe.
    Dann zuckten ihre Mundwinkel: der flüchtige Schatten eines Lächelns. Ihre Lider schlossen sich wie zu einem tiefen, tiefen Traum.
    Sie flüsterte.
    Aus ihrem Augenwinkel floss eine Träne und erstarrte zu Eis.
    „Was für ein Wort soll das denn sein?", keifte der Schemen.
    „Zauberwörter sind immer Zungenbrecher", erklärte Merle. „Jedenfalls die meisten." Sie sagte es so überzeugend, als hätte sie in ihrem Leben tatsächlich schon mehr als zwei davon gehört.

    Der Schemen ereiferte sich weiter. „Aber so ein Wort!" Er hatte fünf Anläufe gebraucht, bis er sicher war, dass er es richtig ausgesprochen hatte, so, wie Lalapeja es ihm auf der anderen Seite vorgesagt hatte.
    Merle musste sich eingestehen, dass sie es noch immer nicht im Kopf behalten konnte. Im Vergleich dazu sprach sich der Bindezauber für Spiegelschemen so mühelos wie ein Kinderreim.
    Junipa aber nickte, und das war die Hauptsache. „Ich kann es aussprechen. Es ist ganz einfach." Sie sagte es, und wirklich, bei ihr klang es perfekt.
    Sie ist eine Führerin, dachte Merle beeindruckt und zugleich ein wenig verstört. Was immer das bedeuten mag - sie ist tatsächlich eine!
    „Sag meiner Mutter -", begann sie, aber der Schemen fiel ihr ins Wort:
    „Sie ist wieder fort."
    „Oh."
    Zum ersten Mal klang der Schemen so, als brächte er ein wenig Mitgefühl für Merles Lage auf. „Sei nicht traurig", sagte er sanft. „Sie wird sich wieder melden. Ganz bestimmt. Diese Sache war ziemlich ...
    schwierig für sie."
    „Was genau meinst du mit schwierig?"
    „Du würdest dir unnötig Sorgen machen."
    Falls der Schemen vorgehabt hatte, Merle damit zu beruhigen, so erreichte er genau das Gegenteil.
    „Was ist mit ihr? Ist sie krank? Oder verletzt?", fragte sie aufgeregt.
    Da erzählte ihr der Schemen, was Lalapeja auf sich genommen hatte, um den Kontakt herzustellen.
    Und dass sie dadurch womöglich beide Hände verlieren würde.
    Merle zog ihre Finger zurück und ließ den Spiegel sinken. Einen Moment lang starrte sie ins Leere.
    Sie zweifelte jetzt nicht mehr, dass die Sphinx ihre Mutter war.
    „Merle?"
    Sie sah auf.
    Junipa lächelte aufmunternd. „Wil st du, dass wir es versuchen? Ich meine, jetzt gleich?"
    Merle holte tief Luft und blickte sich nach den anderen um. Die Spione standen immer noch rund um Vermithrax. Er berichtete ihnen mit seiner volltönenden Löwenstimme von ihren Abenteuern in der Hölle. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Merle sich vielleicht Sorgen gemacht, dass er allzu viel ausplauderte - zumal Seth in seiner Ecke mit gespitzten Ohren lauschte -, doch im Augenblick hatte sie anderes im

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