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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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in den Spiegeln im ersten Moment nur sich selbst und dachte bissig, dass dies das perfekte Abbild ihrer Grübeleien war: immer nur sie selbst, sie selbst, sie selbst.
    „Dein Selbstmitleid ist manchmal so unerträglich", sagte die Fließende Königin. Und nach einer Pause fragte sie: „Gibt's darauf keine freche Antwort?"
    „Du hast ja Recht."
    Junipa packte ihre Hand fester und deutete auf einen Punkt in der silbrigen Unendlichkeit. „Das ist das Tor."
    „Ach ja?"
    „Heißt das, du kannst es nicht sehen?"
    „Jemand hat vergessen, die Klinke dranzuschrauben."
    Junipa schmunzelte. „Vertrau mir einfach."
    „Das tu ich schon die ganze Zeit."
    Junipa blieb stehen und wandte ihr das Gesicht zu. „Merle?"
    „Hm?"
    „Ich bin froh, dass du hier bist. Dass wir diese Sache zusammen durchstehen."
    Merle lächelte. „Du klingst jetzt ganz anders als vorhin im Eisernen Auge. Viel mehr ... wie du selbst."
    „Hier zwischen den Spiegeln kann ich das Steinerne Licht nicht spüren", sagte Junipa. „Es ist, als hätte ich ein ganz normales Herz. Und ich kann sehen, besser als du oder wahrscheinlich jeder andere.
    Ich glaube, ich gehöre hierher."
    Und vielleicht war das ja die Wahrheit; vielleicht hatte Arcimboldo ihre Augen tatsächlich aus dem Glas der Spiegelwelt geschaffen. Junipa ist eine Führerin, hatte Lalapeja gesagt. Und waren Führer nicht immer Einheimische? Der Gedanke erzeugte auf Merles Rücken eine Gänsehaut, aber sie gab sich Mühe, es nicht zu zeigen.
    „Halt dich gut an meiner Hand fest", sagte Junipa, flüsterte tonlos das Gläserne Wort, und dann taten sie gemeinsam den entscheidenden Schritt.
    Das Verlassen der Spiegelwelt vollzog sich so unspektakulär wie der Einstieg. Sie gingen durch das Glas wie durch einen lauen Luftzug, und auf der anderen Seite erwarteten sie -
    „Spiegel?", fragte Merle, ehe sie erkannte, dass dies keineswegs derselbe Ort war, von dem aus sie gestartet waren.
    „Spiegel?", fragte auch die Fließende Königin.
    „Burbridges Spiegelkabinett", sagte Junipa. „Genau, wie deine Mutter gesagt hat."
    Hinter ihnen räusperte sich eine Stimme. „Ich hatte gehofft, dass ihr den Weg finden würdet."
    Merle wirbelte herum, schneller noch als Junipa.

    Professor Burbridge, Lord Licht, ihr Großvater - drei völlig unterschiedliche Bedeutungen in einer Person. Er trat auf sie zu, blieb aber ein paar Schritte vor ihnen stehen. Er kam ihnen nicht zu nahe, als wollte er sie nicht verunsichern.
    „Habt keine Angst", sagte er. „Hier drinnen bin ich nur ich selbst. Das Licht hat im Spiegelkabinett keine Macht über mich." Er klang älter als draußen in der Hölle. Und er sah auch so aus: Er ging jetzt gebeugter, wirkte geschwächt.
    „An diesem Ort bin ich nicht Lord Licht", sagte er mit einem traurigen Lächeln. „Nur noch Burbridge, der alte Narr."
    Der Spiegel, aus dem sie getreten waren, war nur einer von vielen, angeordnet zu einem weiten Kreis. Die meisten steckten noch in den geleimten Holzrahmen, die Arcimboldo stets um die Zauberspiegel gesetzt hatte, wenn er sie an seine Kunden lieferte.
    Alle Spiegel, die Arcimboldo an Lord Licht verkauft hatte, waren an den Wänden aufgereiht, vielleicht hundert, zweihundert Stück. Einige lagen auch am Boden wie Pfützen aus Quecksilber, andere hingen flach unter der Decke.
    „Sie halten das Steinerne Licht von hier fern", erklärte Burbridge. Er trug einen ähnlichen Gehrock wie bei ihrer ersten Begegnung. Sein Haar war wirr, und er wirkte ungepflegt, so als wäre selbst sein akkurates Aussehen von früher nur ein Anschein, den das Steinerne Licht aufrechterhalten hatte. Hier drinnen verblasste all das. Seine Tränensäcke waren schwerer, seine Augen lagen tiefer in den Höhlen.
    Dunkel zeichneten sich die Adern auf seinen pergamentartigen Handrücken ab. Altersflecken bedeckten die Haut wie Schatten von Insekten.
    „Wir sind al ein." Er hatte bemerkt, dass Merle misstrauisch die Umgebung musterte, aus Furcht vor den Lilim, Burbridges Kreaturen. Er schien tatsächlich die Wahrheit zu sagen.
    „Meine Mutter schickt mich." Plötzlich fiel es gar nicht mehr schwer, dieses Wort zu benutzen. Es klang beinahe selbstverständlich: meine Mutter.
    Burbridge hob erstaunt eine Braue. „Lalapeja? Wie habe ich sie gehasst, damals. Und sie mich, ganz ohne Zweifel. Und nun schickt sie ausgerechnet dich hierher?"
    „Sie sagt, Sie könnten mir alles erklären. Die Wahrheit über mich und meine Eltern. Über Lalapeja ...
    und über

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