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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ein ums andere Mal ins Leere. Vermithrax' Flugmanöver raubten Merle und Serafin den Atem, doch dem Sohn der Mutter schlug er damit wieder und wieder ein Schnippchen.
    Je tiefer sie flogen, desto gefährlicher wurde es. Hier versuchte die Bestie sie nicht nur mit ihren Fingern, sondern auch mit ihren mächtigen Löwenpranken zu erwischen. Einmal blieb Vermithrax keine andere Möglichkeit, als zwischen den turmhohen Beinen hindurchzufliegen. Nur um Haaresbreite entgingen sie seinen langen Krallen. Der Sohn der Mutter schlug und trat nach ihnen, Wasserfontänen spritzten und sprühten um sie herum aus seinem Fell, und das zornige Geschrei des Biests schmerzte in ihren Ohren.
    Vermithrax tauchte an der anderen Seite des Körpers wieder auf, nah genug beim steinernen Standbild Sekhmets, um in seinen Schatten hinabzufliegen und sich und seine Reiter an der Rückseite der Felsstatue vor den verwachsenen Klauen und sichelscharfen Krallen ihres Gegners in Sicherheit zu bringen.
    „Lass mich absteigen", rief Merle Vermithrax ins Ohr. „Ich schaff's auch zu Fuß. Lenk du ihn ab."
    Vermithrax gehorchte und senkte sich im Schutz des Standbildes zu Boden. Merle glitt von seinem Rücken ins Schmelzwasser hinab, Serafin sprang hinterher. Die strudelnden Fluten waren entsetzlich kalt und reichten ihnen bis zu den Schenkeln. Einen Moment lang stockte beiden der Atem.
    Es blieb keine Zeit für einen Abschied, denn schon erschütterten Hiebe die mächtige Statue. Der Sohn der Mutter hatte endgültig jeden Respekt verloren und tat sein Bestes, das Standbild von der anderen Seite zu Fall zu bringen. Merle fragte sich, ob er wohl ahnte, was sie im Schilde führten.
    „Natürlich", sagte die Fließende Königin. „Er kann mich ebenso spüren wie ich ihn. Aber er ist noch nicht lange genug zurück in der Welt der Lebenden. Seine Gefühle verwirren ihn. Noch kann er sie nicht zuordnen. Trotzdem spürt er die Gefahr. Und bald ist er wieder ganz der Alte. Lass dich nicht von dem Spektakel täuschen, das er gerade veranstaltet. Er ist kein tumber Koloss, ganz im Gegenteil. Seine Intelligenz ist scharf. Wenn er erst aufhört, sich wie ein Neugeborenes aufzuführen, wird er wirklich gefährlich werden."
    Vermithrax schnellte empor und zwinkerte Merle ein letztes Mal traurig zu. Dann schoss er um die Flanke des Standbildes herum und flog in raschem Zickzack auf den Sohn der Mutter zu, jetzt noch wagemutiger, bereit, sich selbst zu opfern, damit Merle ungehindert ans Ziel gelangte.
    Sie blickte sich um und entdeckte den Altar, auf dem Sekhmets versteinerter Körper lag, etwa dreißig Meter entfernt, unmittelbar an der Seite der Statue. Dort wären sie den Attacken des Sohns der Mutter schutzlos ausgeliefert. Doch wenn ihr Plan aufging, würden ihn Vermithrax' wahnwitzige Attacken sowohl von Sekhmet als auch von ihr selbst ablenken.
    Serafin watete neben ihr durchs Wasser, während sie an den steinernen Pfoten des Standbilds entlangschlichen. „Bitte, Merle - lass mich das tun."
    Sie sah ihn nicht an. „Glaubst du, ich bin bis hierhergekommen, um es mir plötzlich anders zu überlegen?"
    Er hielt sie an der Schulter zurück, und widerwillig blieb sie stehen, nach einem letzten Blick zu Vermithrax, der den Sohn der Mutter geschickt in eine andere Richtung lockte. „Das ist es nicht wert", sagte er düster. „Das alles hier ... dafür lohnt es sich nicht zu sterben."
    „Lass es sein", entgegnete sie kopfschüttelnd. „Wir haben dafür keine Zeit mehr."
    Serafin blickte zu Vermithrax und dem Sphinxkoloss empor. Sie sah ihm an, was in seinem Inneren vorging. Seine Machtlosigkeit stand ihm im Gesicht geschrieben. Sie wusste genau, wie sich das anfühlte.
    „Frag die Königin", versuchte Serafin es ein letztes Mal. „Sie kann nicht wollen, dass du stirbst. Sag ihr, sie kann mich an deiner Stelle haben."
    „Es wäre möglich", sagte die Königin zögernd.
    „Nein!" Merle machte eine Handbewegung, als wollte sie jeden weiteren Widerspruch abwehren. „Es reicht. Hört auf damit, alle beide."

    Sie riss sich los und rannte jetzt, so schnell sie konnte, durch das Wasser auf die versteinerte Sekhmet zu. Serafin folgte ihr abermals. Beide achteten nicht mehr darauf, dass der Sohn der Mutter sich nur hätte umzudrehen brauchen, um sie zu entdecken. Sie setzten alles auf eine Karte.
    Merle erreichte das Podest als Erste und sprang die wenigen Stufen hinauf. Wieder war sie erstaunt, wie zierlich Sekhmets Körper war, eine einfache Löwin, die kaum

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