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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gleich, was Seth behauptet hat."
    Merle schmerzte es, mit anzusehen, wie er ging. Es war der dritte Abschied in wenigen Stunden: erst Serafin, dann die Königin, jetzt er. Sie wollte nicht, dass er sie verließ. Nicht auch noch er. Aber sie wusste gleichzeitig, dass es keine Rolle spielte, was sie sich wünschte oder tat. Suchte nicht jeder von ihnen nach einer neuen Aufgabe, nach einer Bestimmung?
    „Irgendwo leben sie noch", sagte Vermithrax. „Fliegende, sprechende Löwen wie ich. Ich weiß es.
    Und ich finde sie."
    „Im Süden?"
    „Eher im Süden als anderswo."
    „Ja, das denke ich auch", sagte Lalapeja, die neben ihrer Tochter stand. „Wahrscheinlich haben sie dort Schutz gefunden." Lalapeja trug ihre Menschengestalt wie ein Kleid, fand Merle. Immer, wenn sie ihre Mutter so sah, kam es ihr ein wenig wie Maskerade vor. Sie war die schönste Frau, die Merle kannte, aber sie war doch immer noch ein wenig mehr Sphinx als Mensch, selbst in diesem Körper.
    Merle war nicht sicher, ob irgendwer außer ihr das spürte.
    Sie wandte sich wieder an Vermithrax. „Ich wünsche dir Glück. Und dass wir uns Wiedersehen."
    „Das werden wir." Er beugte sich vor und rieb seine riesige Nase an ihrer Stirn. Einen Augenblick lang blendete sie das Glutlicht, das von ihm ausging.
    Junipa trat neben ihn und tätschelte seinen Hals. „Auf Wiedersehen, Vermithrax."
    „Bis bald, kleine Junipa. Und gib Acht auf dein Herz."
    „Das mach ich."
    „Und auf Merle."
    „Auf die auch." Die beiden Mädchen wechselten einen Blick und schmunzelten. Dann fielen sie Vermithrax gemeinsam um den Hals und gaben ihn erst wieder frei, als er „Holla, holla" grol te und sich schüttelte, als hätte er Flöhe im Pelz.
    Er drehte sich um, entfaltete seine steinernen Federschwingen und erhob sich vom Boden. Sein langer Schwanz peitschte Sand auf. Der Boden trocknete allmählich, seit die Sonne wieder am Himmel stand.
    Sie blickten ihm nach, bis er nur noch ein leuchtender Punkt im unendlichen Blau war, eine Sternschnuppe am helllichten Tag.
    „Glaubst du, er findet sie wirklich?", fragte Junipa leise.
    Merle gab keine Antwort, spürte nur Lalapejas bandagierte Hand auf ihrer Schulter, und dann gingen sie gemeinsam zurück zum Boot, wo Unke schon auf sie wartete.
    Die Mannschaft hatte das Unterseeboot auf Hochglanz poliert. Goldene Rohre und Türklinken blitzten; Glastüren waren, soweit vorhanden, neu eingesetzt worden; und ein Pirat, der mit Pinsel und Farbe besser umging als mit dem Säbel (sagte Calvino), hatte sich darangemacht, eines der ruinierten Fresken in Stand zu setzen. Nach und nach würde er sich alle Gemälde vornehmen, überall im Schiff.
    Der Kapitän hatte ihm eine Extraration Rum bewilligt (denn er malte besser, wenn er betrunken war, behauptete er), was die anderen Piraten dazu brachte, sich bereitwillig als Gehilfen anzubieten. Einige hatten eine Werkstatt eingerichtet, und überall im Boot wurde geschraubt, gefeilt und poliert. Andere entdeckten ihre Kochkünste und bereiteten Merle zu Ehren ein Festmahl, das sich sehen lassen konnte.
    Sie war dankbar und aß mit Appetit, doch in Gedanken war sie noch immer woanders, bei Serafin, der jetzt einsam auf seinem Felsen lag und vielleicht von der Wüste träumte. Oder von ihr.
    Unke saß neben Kapitän Calvino. Arcimboldos Spiegelmaske lag vor ihr auf dem Tisch, und manchmal, je nachdem, wie stark die Gasflammen in ihren Kupferkästen flackerten und auf dem Silber seiner Wangen tanzten, sah es aus, als bewegten sich seine Züge, so als spräche er oder lächelte.
    Gelegentlich beugte Unke sich vor und schien ihm etwas zuzuflüstern, aber vielleicht war auch das nur eine Täuschung, und in Wahrheit griff sie nach einer Schüssel oder füllte Wein in ihren Kelch. Aber was war es dann, das sie unverhofft zum Lachen brachte, auch wenn weder Calvino noch einer der anderen etwas gesagt hatte? Und warum weigerte sie sich, die Maske zu den übrigen Schätzen ins Unterdeck zu bringen?
    Am Ende des Essens hatte sie Calvino das Versprechen abgerungen, das Silbergesicht auf der Brücke anzubringen, oberhalb des Sichtfensters, wo es alles im Blick behalten konnte und, so prophezeite Calvino, wohl alles besser wissen werde als er selbst. Unke tätschelte seine Hand und schenkte ihm ein Haifischlächeln.
    „Fehlt nur noch, dass sie mit den Wimpern klimpert", flüsterte Junipa Merle ins Ohr. Gleich darauf prusteten beide los, als Unke dem Kapitän einen Augenaufschlag schenkte, der den Widerstand

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