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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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des rauen Kerls ein für alle Mal brach.
    „Ich schätze, um sie brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen", sagte Merle, während Lalapeja, die in Menschengestalt bei den beiden Mädchen saß, lachte - selbst das wirkte an ihr ein wenig rätselhaft, wie alles, was sie tat oder sagte.
    Nach dem Essen zog Junipa sich in die Spiegelwelt zurück, durch einen mannshohen Spiegel in ihrer Kabine. Nur so konnte sie verhindern, dass das Steinerne Licht an Macht und Einfluss über sie gewann. Natürlich hätte sie Merle und sich selbst auf diesem Weg nach Venedig bringen können, aber beide genossen die Zeit, die ihnen mit Unke und den anderen blieb. Zudem gab es noch etwas, das Merle unbedingt erledigen wollte.
    Irgendwo auf dem Mittelmeer, auf halber Strecke zwischen den Kontinenten, ließ Calvino das Boot auf ihre Bitte hin zur Oberfläche aufsteigen. Merle und ihre Mutter kletterten aus der Luke auf den Rumpf, traten über das Gewirr aus prachtvollen Verzierungen in Gold und Kupfer an den Bug und blickten von dort aus über die endlose See. Ganz in der Nähe bewegte sich die Oberfläche, Fische vielleicht, oder Meerjungfrauen, von denen sie bereits einigen begegnet waren; seit die Galeeren des Imperiums steuerlos auf der See trieben, waren die Meerweiber aus ihren Verstecken gekommen und versenkten die Kriegsschiffe, wo immer sie ihnen begegneten.

    Merle öffnete die Knopftasche ihres Kleides und zog den Wasserspiegel hervor. Zaghaft berührte sie mit den Fingerspitzen die Oberfläche und sprach das Zauberwort. Der helle Dunst des Spiegelschemens legte sich in Windeseile um ihre Haut.
    „Ich will mein Versprechen einlösen", sagte sie.
    Die milchigen Ringe unter ihren Fingerspitzen erbebten. „Dann ist es so weit?", fragte der Schemen.
    ..Ja."
    „Das Meer also?"
    Merle nickte. „Der größte Spiegel der Welt."
    Lalapeja legte ihr zaghaft eine bandagierte Hand auf die Schulter. „Du musst ihn mir geben."
    Merle behielt ihre Finger noch einen Augenblick länger im Inneren des ovalen Rahmens. „Danke", sagte sie nach kurzem Überlegen. „Du weißt es viel eicht nicht, aber ohne deine Hilfe -"
    „Ja, ja", sagte der Schemen, „als hätte daran irgendwer gezweifelt." „Du kannst es gar nicht mehr erwarten, was?"
    „Ich kann andere spüren. Andere wie ich. Das Meer ist voll von ihnen."
    „Wirklich?"
    „Ja." Er klang immer aufgeregter. „Sie sind überall."
    „Noch eine Frage."
    „Hmm."
    „Die Welt, aus der du kommst ... hat sie einen Namen?"
    Er dachte einen Moment nach. „Einen Namen? Nein. Alle nennen sie nur ,die Welt'. Es weiß ja keiner, dass es mehr als eine davon gibt."
    „Das ist hier genauso."
    Hinter ihnen steckte Calvino den Kopf aus der Luke. „Seid ihr so weit?"
    „Gleich", rief Merle zurück. Zum Spiegel gewandt sagte sie: „Viel Glück da draußen."
    „Dir auch."
    Sie zog die Finger zurück, und der Schemen begann, in einer aufgeregten Spirale zu rotieren, schnell wie ein Strudel. Lalapeja nahm den Spiegel umständlich mit ihren verbundenen Händen entgegen und schloss die Augen. Sie hob das Oval an den Mund und hauchte ihren Atem darüber.
    Dann murmelte sie eine Reihe von Worten, die Merle nicht verstand. Die Sphinx hob die Lider und schleuderte den Spiegel aufs Meer hinaus. In einem glitzernden Bogen flog er durch die Luft. Kurz vor dem Aufschlag löste sich das Wasser aus dem Rahmen, eine Explosion silbriger Perlen, die noch im selben Moment mit den Wellen verschmolzen. Der Spiegel plumpste in die See und ging unter.
    „Ist er -"
    Lalapeja deutete mit einem Nicken hinab auf die Wogen, die plätschernd gegen den Rumpf schlugen. Was Merle im ersten Moment für weißen Meerschaum gehalten hatte, entpuppte sich als etwas Flinkes, Geisterhaftes, das eine Vielzahl verrückter Muster bildete, ehe es zum Abschied wie eine winkende Hand aussah und dann schneller als der Blitz davonzischte, im Zickzack zwischen den Wellen hindurch, fort, fort, fort in die Freiheit.

La Serenissima
    Venedig an einem strahlenden Morgen, Venedig befreit.
    Möwen kreischten über den Wracks von Galeeren, halb versunken vor den Ufern der Lagune wie Gerippe bizarrer Ozeanwesen aus Holz und Gold und Eisen. Auf den meisten waren Männer der Stadtgarde postiert, sie schützten die Trümmer vor Plünderern. Es würden noch Tage vergehen, ehe die Aufräumarbeiten in der Stadt soweit fortgeschritten waren, dass man sich der kostbaren Schiffswracks im Meer annehmen konnte.
    Über einem Eiland im Nordosten der Lagune,

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