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DIE MEROWINGER: Familiengruft

DIE MEROWINGER: Familiengruft

Titel: DIE MEROWINGER: Familiengruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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einen Barbaren als Herrscher vor der Nase hast? Und sogar noch den Schlimmsten, den Verruchtesten? Dessen zuchtlose Horden so schrecklich in unserem schönen Gallien wüten? Wie glücklich wart ihr unter Syagrius. Aber den hat ja der Unhold, wie ich erst kürzlich erfuhr, in der Loire ersäufen lassen. Konnte man eigentlich nichts für ihn tun?«
    »Ich erfuhr es ja auch erst, als es geschehen war«, sagte Remigius etwas betreten. »Syagrius war im Übrigen nicht schuldlos an seinem Schicksal. Gott mag sein Ende so gewollt haben. Er war ein Schwächling, ohne religiösen Eifer. Und wir Christen waren unter ihm keineswegs glücklich. Statt zur Ehre des Herrn das Schwert zu führen und die Barbaren das Fürchten zu lehren, versank er in Völlerei und Müßiggang. Dass er zum Schluss noch zu den arianischen Westgoten floh, zeigt doch, dass er ganz ohne inneren Halt und ohne den rechten Glauben war.«
    »Aber nun habt ihr diesen heidnischen Räuberhauptmann zum König!«
    »Wir sollten Chlodwig nicht unrecht tun, nicht alle seine Taten verdammen. Gewiss, er ist fast noch ein Wilder, seine barbarische Herkunft schlägt immer noch durch. Aber er ist ein Mann der Tat, und so einen brauchen wir als Protektor. Wenn es gelänge, ihn zu zähmen, könnte sich die Kirche seine Tatkraft zunutze machen.«
    »Und du traust dir zu, diesen Kerl zu zähmen?«, fragte Avitus skeptisch.
    »Ich denke, ein Anfang ist gemacht.«
    »Wie denn?«
    »Nun, ich begann damit schon bei seiner Machtübernahme«, sagte Remigius zungenfertig. »Damals empfahl ich ihm in einem Grußwort, sich den Bischöfen gegenüber ehrerbietig zu zeigen und unter ihnen seine Ratgeber zu suchen. Zunächst kümmerte ihn das nicht – wozu brauchte er die Bischöfe bei seinen Räubereien und Mordbrennereien? Aber inzwischen ist das anders geworden. Nach der Einnahme von Soissons überbrachte ich ihm meine Glückwünsche persönlich und hatte den Eindruck, dass ihm das wohltat. Er behandelte mich gut, beinahe freundschaftlich. Wertvolles Kirchengerät, das seine Leute mitgeschleppt hatten, erstattete er zurück, und einen, der ihn daran hindern wollte, erschlug er später sogar mit eigener Hand. Das war zwar ein Mord, aber es zeigte auch eine brauchbare Gesinnung. Er begann, in uns Männern der Kirche Verbündete zu sehen.«
    »Leider nicht gleichberechtigte Verbündete, darf man annehmen«, sagte Avitus seufzend.
    »Das nicht, aber zunehmend einflussreiche. Ich wurde von nun an oft zu ihm gerufen. Auch mein Bruder Principius gewann sein Vertrauen. Während er eine Stadt nach der anderen belagerte, schickte er uns oft vor, damit wir wegen der Übergabe verhandelten. So konnten wir mehrmals ein Blutbad verhindern, indem wir von sinnlosem Widerstand abrieten.«
    »Mit anderen Worten: Ihr habt sein Geschäft betrieben. Das gefiel ihm natürlich.«
    »Wir haben in ihm die Überzeugung gestärkt, dass es bessere Mittel gibt als rohe Gewalt, um politische Ziele zu erreichen«, sagte Remigius, den diese Bemerkung seines Amtsbruders etwas verstimmte. »Und das zahlte sich aus. Fast überall, wo jetzt die Franken herrschen, sind Geistliche ihre bevorzugten Ratgeber. In einigen Städten, wo sie nur kleine Garnisonen unterhalten und nicht einmal einen Comes stellen, regieren die Bischöfe. Und wo ein Comes eingesetzt wird, ist der Bischof trotzdem unentbehrlich. Ohne die einheimische Aristokratie ist Herrschaft nun einmal nicht möglich, und wir gehören ja alle dazu. Chlodwig hat das begriffen. Er benutzt uns, ohne dabei zu bemerken, dass auch wir ihn benutzen. Wir nehmen uns von seiner Macht unseren Anteil.«
    Der kleine glatzköpfige Bischof von Reims machte ein pfiffiges Gesicht, und nun war es sein Amtsbruder aus Vienne, der verstimmt war.
    »Anteil an seiner Macht! Das sagt sich so leicht. Was ist das schon? Wenn es ihm morgen gefällt, hängt er euch auf oder schlägt euch die Köpfe ab oder wirft euch in den Fluss wie Syagrius – ohne dass es ihm die geringsten Gewissensqualen bereitet. Und warum? Weil er keinen Glauben hat. Weil er sich nicht vor der göttlichen Rache fürchtet. Weil ihn der Gedanke an das Jüngste Gericht nicht beunruhigt. Weil er nicht um seine ewige Seligkeit bangt. Ihm fehlt die Angst, die große Mutter des Glaubens! Um seine Seele sorgt er sich nicht, denn er braucht keine. Solange es nicht gelingt, ihm eine Seele zu verschaffen und damit die Angst um sie in der Ewigkeit, ist alles andere nichts wert! Bist du auf diesem, dem wichtigsten Feld schon

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