DIE MEROWINGER: Familiengruft
stattliche Franke gewogen. Ein läppischer Zufall hatte alles in Gang gebracht.
Es war noch im ersten Jahr des Krieges um die Gebiete jenseits der Seine. Eines Tages beschuldigte Albofleda eine alte Tante, die in dem gemeinschaftlichen Schlafgemach neben ihr lag, in ihrem Korb mit Honiggebäck geräubert zu haben. Dies wurde bestritten, es gab ein Gezänk, und das dicke Mädchen erklärte schließlich, es bei der diebischen Verwandtschaft nicht mehr auszuhalten.
Noch am selben Abend stieg sie wieder hinauf in die Kammer, die sie vorher mit ihren Schwestern geteilt hatte. Obwohl es schon dämmerte, waren die beiden nicht anwesend. Arglos ging Albo hinein und bettete sich auf ihrem früheren Platz.
Sie war gerade eingeschlafen, und es war schon stockdunkel, als endlich Audo und Lanthild hereinkamen. Sie wisperten, kicherten, warfen Röcke, Hemden und Schuhe ab, und plötzlich wälzten sie sich auf der Matratze, als würden sie wie die Athleten einen Ringkampf austragen.
Albo fuhr auf. Doch ehe sie protestieren konnte, wurde sie wieder umgeworfen. Am Hals spürte sie einen Bart und am Bauch ein langes, nacktes Tier. Sie packte es gleich geistesgegenwärtig am Kopf und drückte so heftig und erbarmungslos zu, dass ein Männerschrei aus dem Bart kam. Gleich darauf schrien auch die Schwestern. Das Tier entglitt Albos Hand, der Türriegel wurde zurückgestoßen, und im Schein einer Fackel draußen im Gang sah sie noch gerade ein erschrockenes Gesicht. Es gehörte Ansoald.
So war das Geheimnis entdeckt, und die beiden Schwestern befanden sich in der Hand der dritten. Der Bruder belagerte gerade die Festung Paris, aber dem hätte Albo ohnehin nichts gemeldet. Sie vertraute sich Remigius an. Der Bischof gebot ihr, zu niemandem über die Angelegenheit zu plaudern, redete Ansoald ins Gewissen und nahm ihm das heilige Versprechen ab, die königlichen Schwestern hinfort in Ruhe zu lassen. Damit war der junge Franke gern einverstanden, denn er war es ohnehin leid, dauernd durch Boten heimlich vom Kriegs- zum Liebesdienst beordert zu werden.
Auch Audo und Lanthild waren froh, noch glücklich davongekommen zu sein, und unternahmen nichts weiter.
So wäre noch alles geräuschlos erledigt worden, wenn nicht ein unvorhergesehenes Ereignis neue Ängste ausgelöst hätte. Lanthild war schwanger.
Bald war ein Stadium erreicht, wo dies kaum noch verheimlicht werden konnte. Die Siebzehnjährige zitterte vor der Wut des Bruders, die so gefährlich und oft verderblich aufschäumen konnte. Wie schnell fuhr seine Hand zum Gürtel, in dem die Axt steckte!
Wieder musste Remigius helfen, zu dem nun alle Vertrauen hatten.
Er entschloss sich, Frau Basina einzuweihen. Wie zu erwarten, war sie aufgrund ihrer turbulenten Vergangenheit nicht allzu betroffen. Sie war eher stolz auf ihre jüngste Tochter, die es wie sie gemacht und sich den Tüchtigsten ausgesucht hatte. Remigius war es zwar nie gelungen, sie zu wirklicher Buße und Reue zu bewegen, doch seine beharrlichen Bemühungen brachten sie nun gemeinsam auf den rettenden Einfall.
Als Chlodwig vorübergehend nach Soissons zurückkehrte, erklärte ihm seine Mutter, sie müsse von ihm Abschied nehmen und zurück nach Thüringen gehen, denn der Bischof habe sie überzeugt, dass dies notwendig sei. Sie habe ein großes Unrecht begangen, indem sie den König Bisin, ihren Ehemann, seinerzeit Childerichs wegen im Stich ließ. Mit Chlodwigs Vater sei sie deshalb auch gar nicht richtig verheiratet gewesen, was ihr sehr leidtue, denn ihre Kinder seien damit zwar Merowinger, doch nicht legitim. Sie habe, bevor sie sterbe, das dringende Bedürfnis, sich ihrem wirklichen Ehemann, falls er noch am Leben sei, zu Füßen zu werfen und ihn um Verzeihung zu bitten.
Frau Basina kannte ihren Sohn und wusste, wie sehr sie ihn damit treffen würde. Chlodwig hatte bis dahin geglaubt, sein Vater habe die Mutter, eine jungfräuliche Königstochter, aus seinem Exil am Hofe des Thüringers mitgebracht. Er ahnte nicht, dass sie mit Bisin verheiratet war, ihn verlassen hatte und Childerich nachgereist war. Alle, die davon wussten, hatten es stets sorgsam vor ihm verheimlicht.
So traf ihn diese Eröffnung tatsächlich wie eine Keule. Er – nicht legitim? Er – von einer Mutter geboren, die eigentlich mit einem andern als seinem Vater verehelicht war? Er brauchte Tage, um seine Gedanken zu ordnen. Schließlich verbot er seiner Mutter die Reise. Er verbot ihr auch, diese Geschichte noch irgendwann irgendwem zu
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